Todeszeit
Schattierungen, selbst in Blau. Meist war die Oberfläche gesprenkelt; nur in seltenen Fällen durchzogen Adern das Gestein.
»Am selben Tag hab ich auch noch mit Megan gesprochen«, berichtete Mitch.
Megan, neunundzwanzig Jahre alt, besaß in dieser hochbegabten Familie den höchsten IQ. Jedes der Rafferty-Kinder war dreimal darauf getestet worden, jeweils in der
Woche des neunten, dreizehnten und siebzehnten Geburtstags.
Nach dem zweiten Collegejahr hatte Megan ihr Studium abgebrochen. Nun wohnte sie in Atlanta, wo sie einen florierenden Hundepflegesalon betrieb. Falls gewünscht, machte sie auch Hausbesuche.
»An Ostern hat sie angerufen und gefragt, wie viele Eier wir gefärbt hätten«, sagte Mitchs Vater. »Wahrscheinlich fand sie das irgendwie komisch. Katherine und ich waren sehr erleichtert, dass sie sich nicht gemeldet hatte, um zu verkünden, sie sei schwanger.«
Megan hatte Carmine Maffuci geheiratet, einen Maurer mit Händen so groß wie Suppenteller. Ihre Eltern waren der Meinung, damit hätte sie sich mit einem nicht gerade standesgemäßen Ehemann abgefunden, intellektuell betrachtet natürlich. Sie hegten die Erwartung, dass sie ihren Irrtum irgendwann einsah und sich scheiden ließ – falls nicht vorher Kinder eintrafen und die Lage verkomplizierten.
Mitch mochte Carmine. Der Bursche war äußerst liebenswürdig; außerdem hatte er ein ansteckendes Lachen und ein Tweety-Tattoo auf dem rechten Bizeps.
»Das sieht wie Porphyr aus«, sagte er und deutete auf einen Kotbrocken aus purpurrotem Gestein mit Einsprengseln, die an Feldspat erinnerten.
Auch mit Portia, seiner jüngsten Schwester, hatte er kürzlich gesprochen. Das erwähnte er aber nicht, weil er keinen Streit vom Zaun brechen wollte.
An der Hausbar in der Ecke goss Daniel sich Scotch und Soda nach. »Vorgestern waren wir bei Anson zum Abendessen«, sagte er.
Anson, Mitchs einziger Bruder und mit dreiunddreißig das älteste seiner Geschwister, verhielt sich am bravsten, was die Vorstellungen von Daniel und Kathy anging.
Dafür gab es gute Gründe. Anson war schon immer das Lieblingskind seiner Eltern gewesen und von diesen nie getadelt worden. Es war einfach leichter, ein braves Kind zu sein, wenn das, wofür man sich begeisterte, nicht sofort auf eine mögliche Verhaltensstörung hin analysiert wurde, und wenn man seine Eltern zum Essen einladen konnte, ohne auf hyperkritische Kommentare oder gar offene Ablehnung zu stoßen.
Ansons Status war also nicht unverdient. Er hatte ihn sich erworben, indem er die Erwartungen seiner Eltern erfüllt hatte. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern hatte er bewiesen, dass Daniels Erziehungstheorien tatsächlich Früchte tragen konnten.
Auf der Highschool war er der Klassenbeste und außerdem der Star der Footballmannschaft gewesen. Trotzdem hatte er alle Sportstipendien abgelehnt und nur solche angenommen, die seine intellektuellen Fähigkeiten würdigten.
Im Studium hatte Anson erst recht geglänzt. Er hatte das angebotene Wissen nicht nur in sich aufgenommen, sondern regelrecht verschlungen. Seinen Bachelor hatte er in zwei Jahren gemacht, den Magister in einem, und mit dreiundzwanzig Jahren hatte er bereits promoviert.
Seine Geschwister hatten nichts gegen Anson, er war ihnen in keiner Weise fremd geworden. Im Gegenteil, wenn sie in geheimer Abstimmung ihr liebstes Familienmitglied gewählt hätten, wäre er einsamer Sieger geworden.
Durch seine Herzenswärme und seinen natürlichen Charme war es Anson gelungen, seinen Eltern Freude zu bereiten, ohne so zu werden wie sie. Diese Leistung kam Mitch ebenso bemerkenswert vor, wie wenn ein Forscherteam des 19. Jahrhunderts eine Rakete mit Astronauten zum Mond geschickt hätte, ohne mehr zur Verfügung zu haben als Dampfkraft und primitive galvanische Zellen.
»Anson hat gerade einen wichtigen Consultingvertrag mit China abgeschlossen«, sagte Daniel.
Ob der betreffende Kot von einem Brontosaurus, Diplodocus, Brachiosaurus, Iguanodon, Moschops oder Triceratops stammte, konnte man an den Bronzeständern der Kugeln ablesen. Dort war der Name eingraviert.
»Er wird mit dem Wirtschaftsminister zusammenarbeiten«, fuhr Daniel fort.
Mitch wusste nicht, ob man versteinerten Kot tatsächlich exakt genug analysieren konnte, um die Saurierart zu bestimmen, von der das Zeug stammte. Vielleicht hatte sein Vater die Aufschriften auf der Grundlage von Theorien anfertigen lassen, die wenig oder gar keinen wissenschaftlichen Wert hatten.
In bestimmten
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