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Todeszeit

Todeszeit

Titel: Todeszeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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sich kultiviert verhielten.
    Dieser Bereich der Psychologie war allerdings nicht ihr Fachgebiet. Möglicherweise wäre sie deshalb gar nicht Mutter geworden, hätte sie keinen Mann geheiratet, der eine ausgeklügelte Theorie zum Thema Kindererziehung und zu deren praktischer Anwendung entwickelt hatte.
    Weil Mitch ohne seine Mutter nicht am Leben gewesen wäre und weil ihre Ahnungslosigkeit keinen böswilligen Charakter hatte, weckte sie in ihm eine Zärtlichkeit, bei der es sich weder um Liebe noch um Zuneigung handelte. Es war eine traurige Rücksichtnahme auf ihre angeborene Unfähigkeit, Gefühle zu empfinden. Diese Zärtlichkeit war inzwischen fast zu dem Mitleid gereift, das er seinem Vater versagte.
    »Ist nicht so wichtig«, erwiderte er. »Das hat Zeit.«
    »Ich kann ihr was ausrichten«, sagte Daniel, während er Mitch durchs Wohnzimmer folgte.
    »Danke, ist nicht nötig. Ich war gerade in der Nähe, also bin ich hereingeschneit, um Hallo zu sagen.«
    Weil ein derartiger Verstoß gegen die Familienetikette bisher noch nie vorgekommen war, ließ Daniel sich nicht so leicht überzeugen. »Du hast doch irgendetwas auf dem Herzen«, sagte er.
    Am liebsten hätte Mitch erwidert: Vielleicht könnte man mir das austreiben, wenn man mich eine Woche lang im dunklen Lernzimmer einsperren würde.
    Stattdessen lächelte er und sagte: »Nein, nein. Alles ist in bester Ordnung.«
    Während Daniel nur wenig Verständnis für das menschliche Herz hatte, besaß er ein untrügliches Gespür für alle
Bedrohungen finanzieller Natur. »Wenn es Geldprobleme sein sollten – da kennst du ja unsere Einstellung.«
    »Ich bin nicht gekommen, um euch anzupumpen«, beruhigte ihn Mitch.
    »Bei jeder Tierart besteht die wichtigste Aufgabe der Eltern darin, ihren Nachkommen beizubringen, wie man selbstständig durchs Leben kommt. Ein Beutetier muss flüchten lernen, und ein Raubtier muss jagen lernen.«
    Mitch zog die Tür auf. »Ich bin ein völlig selbstständiges Raubtier, Daniel«, sagte er.
    »Gut. Das freut mich zu hören.«
    Er schenkte Mitch ein Lächeln, bei dem seine unnatürlich weißen Zähnchen so aussahen, als wären sie seit dem letzten Blecken angespitzt worden.
    Diesmal schaffte Mitch es nicht, ebenfalls ein Lächeln aufzusetzen, so nützlich das auch gewesen wäre, um den Verdacht seines Vaters zu zerstreuen.
    »Parasitentum«, sagte Daniel, »liegt weder in der Natur von Homo sapiens noch in der irgendwelcher anderen Säugetiere. «
    Den Spruch hätte das Kind des glücklichen Löwen von seinem Vater mit Sicherheit nie gehört.
    Mitch trat über die Schwelle. »Sag Kathy, dass ich reingeschaut hab.«
    »Die kommt wie gesagt erst spät zurück. Wenn diese Robinson dabei ist, wird es immer spät.«
    »Mathematikerinnen«, kommentierte Mitch verächtlich.
    »Besonders diese.«
    Mitch zog die Tür zu. Einige Schritte vom Haus entfernt blieb er stehen, drehte sich um und betrachtete es vielleicht zum letzten Mal.
    Hier hatte er nicht nur gelebt, sondern auch bis zur Highschool Heimunterricht gehabt. Er hatte mehr Stunden
seines Lebens innerhalb dieses Hauses verbracht als außerhalb davon.
    Wie immer wanderte sein Blick zu dem Fenster im Obergeschoss hinauf, das von innen hermetisch abgeschlossen war. Das Lernzimmer.
    Wofür benutzten sie den Raum nun wohl, da keine Kinder mehr im Haus waren?
    Weil der Weg durch den Garten eine Kurve machte, statt direkt zur Straße zu führen, fiel Mitchs Blick nicht auf die Tür, sondern auf deren Seitenfenster, als er den Kopf senkte. Hinter den schmalen Scheiben sah er seinen Vater.
    Zur Seite gewandt, stand Daniel vor einem der großen, mit Stahl gerahmten Spiegel im Windfang und begutachtete sein Aussehen. Erst strich er sich das weiße Haar glatt, dann wischte er sich über die Mundwinkel.
    Obwohl Mitch sich wie ein Voyeur fühlte, konnte er den Blick nicht abwenden.
    Als Kind hatte er geglaubt, seine Eltern hätten Geheimnisse, die ihn befreien würden, wenn er sie erfahren könnte. Dazu war es jedoch nie gekommen. Daniel und Kathy waren ein äußerst vorsichtiges Paar und bezüglich mancher Dinge so scheu wie Silberfischchen.
    Nun kniff Daniel sich im Windfang erst in die linke und dann in die rechte Wange, als wollte er ein wenig mehr Farbe hineinmassieren.
    Da die Gefahr, Mitch könnte seinen Vater anpumpen, glücklich vorüber war, hatte dieser seinen Besuch bestimmt schon fast vergessen.
    Hinter dem Fenster drehte Daniel sich nun so, dass er seitlich zum Spiegel stand.

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