Todeszeit
Opfer!«
Anson legte Mitch den Arm um den Hals und zog ihn sanft zu sich heran, bis Stirn an Stirn lag, aber so, dass die beiden sich nicht in die Augen blickten, sondern auf den Schalthebel zwischen ihnen. »Ich will dir mal was sagen, Bruder.«
»Sag’s mir.«
»Normalerweise würde ich das nie erwähnen. Aber damit du nicht vor lauter Schuldgefühlen Magengeschwüre kriegst, weil du eben so bist … solltest du wissen, dass du nicht der Einzige bist, der je Hilfe gebraucht hat.«
»Was willst du damit sagen?«
»Na, was meinst du wohl, wie Connie ihren Backshop bezahlt hat?«
»Durch dich?«
»Sie hat von mir ein spezielles Darlehen bekommen, von dem sich jährlich ein Teil in ein steuerfreies Geschenk umwandelt. Ich will das Geld nicht wiederhaben. Es macht mir Spaß, so was zu tun. Das gilt auch für Megans Hundesalon. «
»Und für das Restaurant, das Portia und Frank aufmachen werden?«
»Auch dafür.«
Die beiden Köpfe berührten sich noch immer.
»Wie haben die anderen denn herausbekommen, dass du so viel Geld hast?«, fragte Mitch.
»Haben sie gar nicht. Ich habe gesehen, was sie brauchten. Übrigens habe ich auch darüber nachgegrübelt, was du brauchen könntest, aber du bist mir immer so … verdammt selbstständig vorgekommen.«
»Das jetzt ist aber ganz was anderes als ein Darlehen, um einen Laden oder ein kleines Lokal zu eröffnen.«
»Ach, ehrlich?«
Mitch stieß ein zittriges Lachen aus.
»Als wir in Daniels Rattenkäfig aufgewachsen sind, hatten wir alle nur einander«, sagte Anson. »Das war das Einzige, worauf es ankam. Und so ist es noch immer, kleiner Bruder. So wird es immer sein.«
»Das werde ich dir nie vergessen«, sagte Mitch.
»Recht so! Du stehst auf immer und ewig in meiner Schuld.«
Mitch lachte wieder, diesmal weniger zittrig. »Kostenlose Gartenpflege, und zwar lebenslang.«
»He, Brüderlein?«
»Ja?«
»Willst du eigentlich gleich deinen Rotz auf den Schalthebel tropfen lassen?«
»Nein«, versprach Mitch.
»Gut. Ich mag mein Auto gerne sauber. Kannst du noch fahren?«
»Ja.«
»Bestimmt?«
»Klar.«
»Dann los!«
22
Am Horizont drang lediglich aus einer fadendünnen Fuge blutrotes Licht, ansonsten war der Himmel ebenso dunkel wie das Meer. Der Mond war noch nicht aufgegangen, um die verlassenen Strände mit silbrigem Licht zu überziehen.
Anson hatte erklärt, er müsse nachdenken. In einem fahrenden Wagen könne er das ausgezeichnet, weil sich das anfühle wie ein Boot unter vollen Segeln. Er hatte vorgeschlagen, dass Mitch nach Süden fuhr.
Zu dieser Stunde war nur wenig Verkehr auf dem Highway entlang der pazifischen Küste.
Mitch blieb auf der rechten Spur, ohne aufs Gas zu drücken.
»Sie rufen morgen Mittag bei mir an«, sagte Anson, »um zu erfahren, wie weit ich mit den Finanzen vorangekommen bin.«
»Diese Überweisung auf die Kaimaninseln gefällt mir gar nicht.«
»Mir auch nicht. Dann haben sie nämlich das Geld und Holly.«
»Es ist besser, wenn wir sie treffen«, sagte Mitch. »Sie bringen Holly mit, wir ein paar Koffer voller Geld.«
»Das ist genauso unsicher. Dann können sie das Geld nehmen und uns alle umlegen.«
»Nicht, wenn wir zur Bedingung machen, dass wir bewaffnet kommen können.«
Anson sah ihn skeptisch an. »Meinst du etwa, das würde
sie einschüchtern? Die glauben doch nicht im Ernst, dass wir mit Waffen umgehen können!«
»Wahrscheinlich nicht. Deshalb nehmen wir Waffen, bei denen man kein besonders toller Schütze sein muss. Schrotflinten zum Beispiel.«
»Und wo bekommen wir die her?«, fragte Anson.
»Wir kaufen sie in einem Waffengeschäft oder im Kaufhaus, ganz egal.«
»Gibt es da keine Wartezeit?«
»Ich glaube nicht. Nur bei Handfeuerwaffen.«
»Wir müssten erst einmal damit üben.«
»Nicht viel«, sagte Mitch, »nur, um uns ein wenig damit vertraut zu machen.«
»Vielleicht sollten wir den Ortega Highway rausfahren. Sobald wir die Flinten haben, meine ich. Dort ist noch ein Rest Wüste, den sie nicht mit Häusern vollgeklotzt haben. Wenn wir eine Stelle finden, wo es wirklich einsam ist, können wir ein paar Zielübungen machen.«
Mitch fuhr schweigend weiter, und Anson saß schweigend neben ihm.
An den Hängen im Osten funkelten die Lichter nobler Villen, im Westen lag schwarz das Meer. Schwarz war nun auch der ganze Himmel. Da keine Linie am Horizont mehr sichtbar war, verschmolzen Ozean und Himmel zu einem großen, leeren Raum.
»Irgendwie kommt mir das geradezu unwirklich vor«,
Weitere Kostenlose Bücher