Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi
Mädchenschrift
geschrieben: »Dorothee und Lisbeth Hovermann«.
»Wer war Lisbeth
Hovermann?«
Meine Tante
antwortete mit einem Schmerzensschrei. Offensichtlich hatte sie sich die
Nagelschere ins Fleisch gestoßen. »Verflucht. Es wird ihre Schwester gewesen
sein. Früher bekam nicht gleich jeder ein eigenes Buch.«
Ich versuchte mir
klarzumachen, was meine neu gewonnene Verwandtschaft für mich bedeutete. »Ich
werde sterben.«
Diesmal hatte ich
es laut gesagt.
»Das werden wir
alle, ich eher, du wahrscheinlich später.« Wieder stieg mir der Duft nach Rum
und Tee in die Nase, als sie ihre erneut gefüllte Tasse zum Mund führte.
Beiläufig fragte ich mich, wie viele Tassen mit Tee und Rum meine Tante sich
wohl am Tag genehmigte und nahm mir vor, Gina beim Abschied danach zu fragen.
Gisela legte die
Nagelschere beiseite und schaute mich streng an. »Da niemand zu wissen scheint,
dass du ein Hovermann bist, hat auch keiner ein Motiv, dich wegen dieser Geschichte
umzubringen. Solange die Morde noch nicht aufgeklärt sind, musst du es keinem
erzählen. Oder glaubst du etwa an einen Fluch?«
Ich schüttelte
lebhaft den Kopf. »Nein, an einen Fluch glaube ich nicht.«
»Mit einem Fluch
ist das nämlich so eine Sache. Die Leute sterben deshalb daran, weil sie daran
glauben.« Sie schaute mich triumphierend an. »Wünsch jemandem öffentlich die
Pest an den Hals, dann wird dieser Mensch fortan ständig Angst haben, krank zu
werden. Er wird es abstreiten, aber er achtet sorgsam auf jedes mögliche
Symptom. Sein Immunsystem leidet darunter, und er wird krank.«
Als ich wieder in
meinem Auto saß, war es bereits halb zwölf Uhr mittags. Die verschiedensten
Gedanken gingen mir durch den Kopf, unter anderem die Frage, warum ich meine
Tante Gisela nicht öfters besuchte. Schon zu unseren Kinderzeiten hatte ich
mich gern bei Frederic verabredet, weil seine Mutter so cool, unabhängig und
furchtlos gewesen war. Meine Mutter hingegen warnte uns ständig vor Typhus,
Tollwut und Invalidität, je nachdem, wo und womit wir gerade spielten.
Auch heute hatte
ich die Gesellschaft der klugen alten Da- me sehr genossen. Schade, dass ich
mit ihrem Sohn Frederic schon lange nichts mehr anfangen konnte.
NEUN
Ein Besuch zog den
nächsten nach sich, und so würde ich nun vor meinem angekündigten Tod auch noch
meine neu entdeckte Herkunftsfamilie aufsuchen. Als ich die Treppenstufen zu
meiner Wohnung hochstieg, hörte ich eine Stimme.
»Endlich! Für
einen todgeweihten Mann bist du viel unterwegs, Michael.«
Es wurde langsam
zur Gewohnheit, dass Leute vor meiner Tür warteten, um mich zu sprechen. Dieses
Mal war es ein Mann mit einer auffallenden Adlernase.
»Martin, du bist
zurück! Ich hoffe nicht, dass du zur letzten Ölung kommst, weil mein Fall so
hoffnungslos ist.« Ich wedelte mit einer Papiertüte, in der sich ein Hamburger
und eine Portion Pommes befanden. »Ich teile mein Fast Food mit dir, wenn du
willst.«
Wir traten ein,
und ich war ängstlich bemüht, in Martins Gesicht Hinweise auf gute Nachrichten
zu lesen.
»Die Sache ist so …«, sagte Martin, während er mit einem Finger vorsichtig auf den halbierten
Hamburger auf seinem Teller drückte, »die Sache ist so: Der Mann, von dem ich
dir am Telefon erzählt habe, lebt noch, obgleich er wohl ein ähnliches Erlebnis
mit dieser Frau hatte wie du.«
Es gibt Hoffnung
für mich, dachte ich und biss plötzlich lustvoll in meinen Teil des prall
gefüllten Hamburgers.
»Jörg Winter ging
es ähnlich wie dir. Er spazierte am Strand entlang und begegnete einer Frau,
die ihm sagte, dass er nur noch fünf Tage zu leben habe. Jörg war ein Mensch,
der den vielen Mysterien des Lebens mit einer gewissen Gleichgültigkeit und
Frohnatur begegnete, und so erzählte er das Erlebte sogar am Stammtisch.«
Martin steckte
sich hin und wieder eine Pommes in den Mund, wodurch sein Erzählfluss
keineswegs gestört wurde.
»Am fünften Tag
musste Jörg Winter – er war als Elektriker im Kundendienst beschäftigt – einen
Elektroherd in einem recht alten Haus überprüfen. Die elektrischen Leitungen
waren wohl eine abenteuerliche Eigenverlegung. Wahrscheinlich deshalb passierte
dem erfahrenen Elektriker Jörg ein folgenschwerer Fehler, und er bekam einen
heftigen Stromstoß. Jörg war einige Zeit bewusstlos, lag sozusagen im Koma, und
als er erwachte, hatte er schwere Schädigungen davongetragen. Gehirnschäden,
wenn du verstehst, was ich meine.«
Ich starrte ihn
mit offenem Mund
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