Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi
Damals gab es keine Sozialämter.«
Jetzt verstand
ich, was sie mir sagen wollte.
»Du meinst, als
besorgter Vater würde ich ihm Geld mitgeben? Viel Geld?«
Cornelia starrte
aus dem Fenster auf die dunkle Straße. »Es könnte doch sein, dass die
Hovermanns oder sonst wer genau dies vermuten. Clemens stammte aus einer
Kaufmannsfamilie.«
Plötzlich rief sie
laut. »Du musst hier abbiegen!«
Ich trat in die
Bremse und schaffte die Kurve gerade noch, wenn auch wenig elegant und auf der
anderen Spur. Zum Glück gab es keinen Gegenverkehr. Im Münsterland sah es für
mich außerhalb der Städte überall gleich aus: Felder, flaches Land und Gräben
rechts und links der Wirtschaftswege.
»Waren die
Hovermanns denn sehr reiche Kaufleute?«
»Nein, ich glaube
nicht. Aber es ging ihnen bestimmt besser als vielen anderen. Sie waren
angesehene Bürger und hatten genug zum Leben.«
Ich hatte meine
Orientierung nun wiedergefunden und betrachtete Cornelia von der Seite. Ich
beneidete sie, weil sie genug Zeit hatte, sich völlig in diesen Fall zu
vertiefen, sich auf die mysteriöse Ausgrabung zu freuen. Energisch zwang ich
meine Gedanken in eine andere Richtung und gab zu bedenken: »Wie viel Taler
oder Gulden oder was auch immer kann der Vater ihm schon mitgegeben haben?
Sicherlich nicht so viel, dass es heutzutage wirklich etwas wert wäre. Wir
graben doch hier keinen Römer oder Wikinger aus. Glaubst du wirklich, für ein
paar alte Kröten bringt eine Familie sich gegenseitig um?«
»Du hast recht.
Darüber hinaus ist es sowieso unwahrscheinlich, dass der Mörder damals nicht
auch das Geld an sich genommen hat.«
Wir waren in
Münster angelangt, und ich fuhr zügig zu ihrer Wohnung. Ein kurzer Seitenblick
Cornelias ließ mich unsicher werden. Ich parkte vor der Haustür im Halteverbot,
und sie äußerte sich nicht dazu. Mit einem Male war die Atmosphäre kühl und
distanziert. »Ich ruf dich an und halte dich auf dem Laufenden«, sagte sie.
Eigentlich hatte
sie es wie eine Frage betont, und ich beeilte mich zu versichern: »Ich habe
morgen Vormittag einen Termin, aber ab Mittag bin ich zu Hause erreichbar. Dort
habe ich mehr Ruhe zum Arbeiten, weißt du. Aber es stört gar nicht, wenn du mir
von weiteren Familientragödien erzählst.«
Sie lächelte müde
über meine Anstrengung, verbindlich zu sein.
»Schlaf gut,
Michael. Vielleicht erzählst du mir mal, was dich bedrückt.«
Bevor ich etwas
erwidern konnte, hatte sie die Beifahrertür so heftig zugeknallt, dass zwei
Drittel der Nachbarn aufgewacht sein mussten. Das andere Drittel war
wahrscheinlich noch wach.
Als ich meine
Wohnung betrat, mein Junggesellenparadies, war sie finster und leer. Daran
änderte auch meine dimmbare Deckenbeleuchtung nichts.
Jede
Jugendherberge wäre mir momentan wohl besser bekommen als diese einsamen Räume.
Es war kurz vor eins. Außer der Telefonseelsorge konnte man niemanden mehr
anrufen, und diese Möglichkeit ließ mein männliches Ego nicht zu.
Ich war sehr müde.
Ich fühlte mich zutiefst einsam und vom Schicksal schwer getroffen. Mit Anfang
vierzig sollte ich in Leichentücher gepackt werden.
Was so noch nicht
erwiesen war, ermahnte ich mich. Immerhin hatte ich sogar einen echten
Ordensbruder darauf angesetzt, meine Überlebenschancen zu recherchieren. Und
überhaupt, vor einigen hundert Jahren hätte man hinter meinem Rücken gemurmelt:
Warum stirbt der alte Mann einfach nicht? Damals waren vierzig Jahre und mehr
ein Geschenk Gottes gewesen.
Dieser Gedanke
erinnerte mich daran, dass ich ja nun auch ein gläubiger Mensch sein wollte und
meine Angst vor dem Tode mit Gottvertrauen kompensieren sollte.
Nur gefiel mir
momentan das Leben hier auf der Erde sehr gut. Mir gefiel Cornelia. In den
Himmel wollte ich eigentlich erst, wenn ich alt war, mir die Knochen ständig
schmerzten und die Frauen meinen Körper nur noch betrachteten, um die aktuelle
Pflegestufe zu bestimmen. Jetzt hatte ich auf Erden genug Himmel!
Derartig mit mir
im Unreinen würde ich wohl kaum schlafen können, daher nahm ich mir ein
Wasserglas mit Whisky mit ans Bett. Doch weit gefehlt. Als ich am nächsten
Morgen aufwachte, konnte ich maximal zweimal genippt haben, bevor mich der
Schlaf übermannte.
* * *
Das Haus meines Cousins Frederic sah aus, wie man es von einem
Bankangestellten erwarten konnte. Es stand in einer Linie mit anderen netten
Reihenhäusern, deren Vorgärten sich allenfalls durch die Anordnung der
einzelnen Pflanzen unterschieden.
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