Todtsteltzers Ehre
aus.
Owen hatte sich vor großem Publikum noch nie wohl gefühlt,
aber die Heldenverehrung setzte ihm noch stärker zu. Dadurch
überwand er seinen Hang, Reden zu schwingen, und entschied
sich lieber für eine Sitzung mit Fragen und Antworten. Nach
ein paar Anstößen fingen die Leute an, sich vorzustellen und
Fragen zu stellen, die Owen meist so vertraut waren, daß er sie
im Schlaf hätte beantworten können. Bald empfand er die Leprakranken nur noch als ein Publikum unter vielen, das sich
sogar etwas besser benahm als die meisten. Er legte los und
erzählte von seiner Zeit in der Rebellion, zumindest die Abschnitte, die für die Öffentlichkeit geeignet waren, und Hazel
schaltete sich zuzeiten ein und steuerte Dinge bei, die sie selbst
aufschlußreich fand. Die Leprakranken begegneten ihnen beidem mit großem Respekt, und Owen und Hazel konnten nicht
umhin, sich für sie zu erwärmen. Ihnen war vorher nie in den
Sinn gekommen, daß die Kranken ihre Fans sein könnten wie
alle anderen auch.
Schließlich ging Owen der Erzählstoff aus, und er übergab
das Wort an Mond. Das Publikum hörte schweigend zu, während dieser von seinen Abenteuern mit Owen und Hazel
berichtete. Eine Stimme aus der Menge wollte wissen, ob er
sich als Verräter an seinem Volk betrachtete, und Mond dachte
kurz nach, ehe er das verneinte und äußerte, eher wären die
übrigen Hadenmänner Verräter an der Menschheit. Dafür
erhielt er sogar leisen Applaus.
Die Zeit verging wie im Fluge, und Owen war erstaunt, als
ihm Oz ins Ohr flüsterte, daß die Stunde beinahe vorüber war.
Owen wußte nicht recht, was er von einer Leprakolonie erwartet hatte – vielleicht einherlatschende, totenähnliche Gestalten,
die eine Glocke läuteten und riefen: »Unrein! Unrein!« Diese
stillen, warmherzigen, freundlichen Menschen waren eine Offenbarung für ihn. Bislang hatte er sein Versprechen, für sie zu
kämpfen, als Pflicht aufgefaßt. Jetzt rechnete er es sich zur
Ehre an. Sie hatten schon so viel durchgemacht, daß es ihm
nicht fair erschien, wenn sie sich auch noch den Hadenmännern
entgegenstellen mußten.
Er gab bekannt, daß er aufbrechen mußte, und Protestgeschrei stieg auf. Er erklärte, daß Mutter Beatrice eine Mahlzeit
für die Besucher vorbereitet hatte, und der Name der Heiligen
reichte, um den Platz zu räumen. Owen sah Hazel an.
»Also, was denkt Ihr?«
»Sie werden kämpfen«, sagte Hazel. »Daran habe ich aber
auch nie gezweifelt. Nur hartgesottene Kämpfer konnten ungeachtet aller Widrigkeiten überleben, denen diese Menschen
schon vor den Hadenmännern gegenüberstanden. Aber Gott
weiß, wie lange sie diese Station gegen eine Armee halten
können. Mond?«
Der aufgerüstete Mann runzelte die Stirn. »Ich gestehe, daß
ich ohnehin kaum verstehe, was die Hadenmänner hier überhaupt suchen. Die Kolonisten besitzen nichts, was wertvoll
genug wäre, um es ihnen zu rauben. Hier muß es noch etwas
anderes geben, etwas, das wir bislang übersehen.«
»Denkt weiter darüber nach«, bat ihn Owen. »Falls wir wüß
ten, was die Hadenmänner wollen, könnten wir es ihnen einfach geben. Oder es vernichten. Vielleicht würden sie dann von
hier verschwinden und jemand anderen ärgern.«
»Darauf würde ich keine Wetten abschließen«, warf Hazel
ein. »Sollten die Hadenmänner erfahren, daß wir uns hier aufhalten, dann motiviert sie das vielleicht genug, um die ganze
Station zu schleifen, nur damit sie uns in die Finger kriegen.
Wir haben schließlich ihre Pläne für Brahmin II vereitelt. Und
die Hadenmänner waren nie führend, was das Verzeihen angeht.«
»Stimmt«, sagte Mond.
»Oh, haltet den Mund«, sagte Owen. »Ich habe schon genug
Probleme, über die ich nachdenken muß.«
»Ich denke, daß ein weiteres gerade auf uns zukommt«, stellte Hazel leise fest. »Sieh mal, was dort gerade aufgetaucht ist.«
Sie alle betrachteten mit unterschiedlich starkem Unglauben
die skelettartig dünne Kreatur, die auf sie zugewankt kam. Der
gut über einsneunzig große Neuankömmling, eine Frau, trug
lange schwarze Gewänder, die in Fetzen hingen und um eine
unmöglich dünne Taille gegürtet waren. Sie trug an einer der
knochigen Hüften ein Schwert und an der anderen eine Pistole.
Schnürstiefel, lange grüne Abendhandschuhe, ganz durchlö
chert, und ein ramponierter Hexenhut, an dessen Spitze Bänder
flatterten, machten den Aufzug komplett. Das Gesicht war mit
weißem Makeup bedeckt, gegen das sich zwei hellrote Wangenknochen sowie Lippenstift und
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