Töchter auf Zeit
hinter dem ich mich verschanzte, und nicht zu vergessen mein schlechtes Benehmen.
»Weil du eben erst dreizehn warst, als sie krank wurde«, meinte Claire. »Das ist es ja, was ich meine.«
Mom war eine Mutter wie aus dem Bilderbuch – Mütterlichkeit lag ihr anscheinend im Blut. Wir haben nicht einmal den Raum verlassen, ohne sie sagen zu hören: »Ich hab euch lieb«, oder sind nicht einmal raus zum Spielen, ohne dass sie sich von uns mit einem Kuss und einer Umarmung verabschiedete. Sie brachte mich sogar noch ins Bett, als ich schon in die Junior Highschool ging, strich mein Haar aus dem Gesicht und flüsterte mir dasselbe Gebet zu, das sie mir schon ins Ohr geflüstert hatte, als ich noch Windeln trug: »Möge Gott dich segnen und dir Frieden schenken …«
Claire und ich warfen einen Blick in die Turnhalle, wo Maura wieder Purzelbäume übte.
»Manchmal sehe ich sie an und denke, ich hätte Mom vor mir stehen«, sagte ich.
Und so war es auch. Maura ging mit ihren Augenbrauen und ihrer Matte an welligem, dickem Haar schon fast als Klon unserer Mutter durch.
»Maura sieht aus wie sie und verhält sich auch so«, sagte Claire, zog ihr Handy aus der Tasche und sah nach ihren E-Mails.
»Was meinst du denn damit?«, fragte ich mit gepresster Stimme.
Claire seufzte und verstaute ihr Handy wieder in ihrer Designer-Handtasche. »Maura ist genauso süß, vertrauensselig und naiv.« Claire zählte diese Eigenschaften auf, als ob dieseAttribute ihre Tochter ganz sicher irgendwann einmal in Schwierigkeiten bringen könnten.
»Mom war eine Seele von Mensch«, sagte ich, und mein Herz machte wie immer bei dem Gedanken an sie einen heftigen Satz.
»Keine Frage. Aber für Menschen wie
Larry
war sie so etwas wie ein Fußabstreifer. Mit etwas mehr Rückgrat hätte sie ihn nach seiner Affäre verlassen.«
»Vielleicht brauchte es mehr Rückgrat zu bleiben.«
Claire tat meine Bemerkung mit einem lässigen Schulterzucken ab. »Ich will einfach nicht, dass Mauras liebenswertes Wesen und ihr tiefes Vertrauen zu jedem wildfremden Menschen sie mal in Schwierigkeiten bringen.«
»Das geht vorüber. Oder du wirst ihr das schon noch austreiben«, meinte ich mit einem süffisanten Lächeln zu meiner Schwester. Trotz ihres enormen Selbstbewusstseins witterte Claire in allem und jedem eine Gefahr, was möglicherweise daran lag, dass sie schon in so jungen Jahren die Mutterrolle für mich übernehmen musste. Als meine Mutter starb, sammelte sich schon jede Menge Staub auf den Papieren, die Claire zu meinem offiziellen Vormund gemacht hatten. Sie und Mom hatten sich rechtzeitig um den Papierkram gekümmert, weil sie beide um jeden Preis verhindern wollten, dass sich jemand anders um mich kümmerte.
Nun war Claire zu der Sorte Mutter geworden, die wöchentlich über das Internet prüfte, ob ein Sexualstraftäter in ihr Viertel oder in die Nähe von Mauras Vorschule gezogen war. Claire zählte zu den Müttern, die ihre Tochter jeden Morgen nicht nur in die Schule, sondern ins Klassenzimmer hineinbrachte, während alle anderen Mütter ihre Kinder den Assistenten unten in der Aula in die Hand drückten. Claire würde Maura ohne zu zögern einen GPS-Sender implantieren lassen, wenn das gesellschaftlich akzeptabel wäre.
»Ich will ihr keine Angst einjagen«, sagte Claire und schnappte sich noch einen Cookie. »Ich will einfach nicht, dass sie unnötige Risiken eingeht. Ich möchte, dass sie lernt, auf Nummer sicher zu gehen. Gott weiß, dass das Leben grausam sein kann, selbst wenn man alles richtig macht. Denk nur an unsere arme Mutter.«
»Wem sagst du das?«
Claire wandte sich mir zu und sah mir direkt in die Augen. »Wie geht es dir? Tut sich was an der Adoptionsfront?«
»Wir warten damit noch ein paar Monate. Der Doktor hat meine Dosis erhöht und vielleicht klappt es ja diesen Monat.«
»Ich finde es ja gut, dass du die Hoffnung nicht aufgibst«, sagte Claire. »Aber du solltest an deiner Einstellung arbeiten. Jeden Morgen durchs Haus zu tigern und auf ein Wunder zu warten ist nicht gut für dich!«
»Sehe ich so aus, als würde ich durchs Haus tigern?«
Claire zog die Augenbrauen hoch und warf einen prüfenden Blick auf mein ungeschminktes Gesicht, meinen blondierten Pferdeschwanz, den zu dunklen Haaransatz, meine Jeans und mein Sweatshirt. »Ich sag dir, was du tun solltest«, meinte sie dann und deutete auf mich. »Mach Yoga, geh zum Friseur und kümmere dich um die Adoptionspapiere.« Claire hob beschwichtigend
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