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Töchter auf Zeit

Töchter auf Zeit

Titel: Töchter auf Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Handford
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alles passiert war – wo Mom gestorben war und Dad uns verlassen hatte. Doch ich war auf Claires Unterstützung angewiesen, weshalb mir nichts anderes übrig blieb, als zu tun, was sie wollte. Bei einem Streit über »College oder nicht College« hätte mich mein Glück bestimmtverlassen. Als sie also darauf bestand, dass ich mich am George Mason College einschreiben sollte, stimmte ich ihr zu, obwohl mich das Studium griechischer Philosophen und deutscher Psychologen nicht wirklich interessierte. Doch immerhin kam ich auf diese Weise in den Genuss einer eigenen Wohnung – meine eigenen vier Wände, wo ich meine Gefühle ausleben und meinen Schmerz ohne Rücksicht auf andere zulassen konnte, so oft ich wollte. 28 Quadratmeter Platz für meine Trauer, die mich immer wieder packte und zerfleischte wie ein hungriges Monster. Ich sehnte mich nach einem Ort, an dem ich meinen Tränen freien Lauf lassen konnte, einfach weil es mir guttat, auch wenn es nun schon fünf Jahre her war, dass Mom uns verlassen hatte.
    Claire war wie die Gestapo, die mich und mein Zimmer jeden Tag kontrollierte und mich zwang, mein kuscheliges Flanellnest zu verlassen und in die Schule zu gehen und später dann meine Hausaufgaben zu machen. Ehrlich gesagt, hat mir das nicht viel ausgemacht. Manche Fächer haben mir sogar richtig Spaß gemacht, obwohl ich mir das vorher nicht hätte träumen lassen. So zum Beispiel Buchführung. Es verschaffte mir eine tiefe Befriedigung, wenn ich die einzelnen Spalten miteinander abglich, denn für mich war das die kosmische oder karmische Garantie, dass alles, was reingesteckt wird, auch wieder rauskommt, und auf mich persönlich übertragen bedeutete es den hoffnungsvollen Gedanken, dass mein Schmerz eines Tages mit Glück aufgewogen würde.
    Die meiste Zeit lernte ich in dem kleinen Coffee-Shop gleich ums Eck, und dort traf ich eine Gruppe alternativer Studenten, die anscheinend die Rätsel der Menschheit gelöst hatten. Sie rochen nach Nelkenzigaretten und Patchouliöl. Sie spuckten ihre Lebensphilosophie förmlich heraus.
Buddhismus ist ja so erhellend
, sagten sie dann immer.
Keine Dogmas
. Damals hatte ich das Gefühl, dass ihr freies Leben der Gegenpol zu meiner Überdosis an Claire und der Trauer um meine Mutter wäre. Immerwenn ich bei ihnen war, dachte ich weder an meine Mom und ihre Krankheit noch an Claire und daran, wie sie immer wieder versuchte, mir einzutrichtern, wie wichtig es doch sei, dass ich aufs College ginge. Sie erholten sich gerade von dem katholischen Glauben, mit dem sie aufgewachsen waren. Manche von ihnen gefielen sich in der Rolle von Anarchisten (aber ich wusste, dass das nur graue Theorie war). Alles an ihnen verdeutlichte ihre Abneigung gegenüber gesellschaftlichen Konventionen, und Claire war das Musterkind gesellschaftlicher Konventionen. Nach wie vor kontrollierte sie mich, und ich sagte ihr immer noch genau das, was sie hören wollte – dass alles gut wäre, dass es mir gut ginge –, und natürlich verlor ich kein Wort über meine neuen Freunde. Das Letzte, was ich hören wollte, war, dass meine zielorientierte Schwester mir klarmachte, dass mein jetziger Lebensstil inakzeptabel sei.
    Eines Nachts wurden vier der Jungs aus der Gruppe wegen Kokainbesitzes festgenommen, womit die Gesellschaft ihr böses Gesicht zeigte, zumindest sah das die Gruppe so. Schließlich sollten Drogen sowieso legalisiert werden, da jeder das Recht haben sollte, mit seinem Körper zu machen, was immer er wollte. Gut möglich, dass ich damals nicht wusste, welche Richtung ich einschlagen sollte, aber mit Drogen hatte ich nichts am Hut, und irgendwie verstörte es mich, wie sie sich für ihre Kumpel einsetzten. Von diesem Augenblick an waren sie für mich nicht mehr die progressiven, revolutionären Freigeister, sondern alternde Aussteiger ohne Zukunft. Mit einem Mal waren Claire und ihr Tagesplaner, ihre private Altersvorsorge und ihr geplantes Fünf-Jahres-Ziel gar nicht mehr so bescheuert.
    Im Jahr darauf machte ich Claire klar, dass ich arbeiten wollte und es auch auf die Reihe kriegen würde. Ich las die Stellengesuche, obwohl für mich mangels Ausbildung nichts anderes infrage käme, als Tische abzuräumen oder im Callcenter zu arbeiten. Doch dann stieß ich auf die Anzeige des Arlington Country Club,in der eine Küchenhilfe gesucht wurde. Ich habe schon immer gerne mit meiner Mutter gekocht. Genau genommen ist eine meiner schönsten Erinnerungen daran, wie ich neben ihr an unserer

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