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Töchter Der Finsternis

Töchter Der Finsternis

Titel: Töchter Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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machen.
    Auf der Lichtung sahen sie im Licht der Taschenlampe eine Hand, die die Schaufel zur Seite legte. Dann hoben Rowan und Kestrel das Bündel auf - Jade musste die Taschenlampe halten
    - und senkten es in das Loch.
    Gut. Jetzt häuft wieder Erde drauf und geht, dachte Mary-Lynnette.
    Das Licht zeigte, dass Rowan die Schaufel nahm. Sie begann das Loch schnell zuzuschütten.
    Mary-Lynnette war glücklich. Bald würde alles vorbei sein. Sie atmete erleichtert auf.
    Die Taschenlampe wurde wild herumgeschwungen. Mary-Lynnette presste sich enger an die Erde. Sie riss die Augen auf. Sie konnte Kestrels Umriss vor dem Licht sehen, ihr goldenes Haar leuchtete. Kestrel schaute in die Richtung von Mark und Mary-Lynnette. Ihr Körper war angespannt und still. Sie lauschte.

    Mary-Lynnette lag absolut reglos da. Sie hatte den Mund geöffnet und versuchte zu atmen, ohne ein Geräusch zu machen. Kleine Insekten krabbelten im Nadelbett unter ihr. Sie wagte nicht, sich zu bewegen, selbst als sie ein unangenehmes Kribbeln unter ihrem T-Shirt spürte.
    Ihre eigenen Ohren klangen vom angestrengten Lauschen. Aber der Wald war still
    unheimlich still. Alles, was Mary-Lynnette hören konnte, war das wilde Klopfen ihres eigenen Herzens.
    Sie hatte Angst.
    Und es war nicht nur einfache Angst Es war etwas, das sie nicht mehr gespürt hatte, seit sie neun oder zehn gewesen war. Gespensterangst. Die Angst vor etwas, von dem du nicht einmal sicher bist, dass es existiert.
    Während sie Kestrels Silhouette im dunklen Wald beobachtete, kehrte ihre Furcht vor Monstern zurück. Sie hatte ein sehr, sehr böses Gefühl.
    Ich hätte Mark nicht herbringen dürfen, dachte sie.
    In dem Moment merkte sie, dass Marks Atem ein Geräusch verursachte. Es war ganz leise und ähnlich wie das Schnurren einer Katze. Dieses Geräusch hatte er als Kind gemacht, als seine Lungen krank gewesen waren.
    Bitte, Mark, nicht atmen, flehte sie. Halte einen Moment die Luft an ...
    Dann geschah alles sehr schnell.
    Kestrel machte einen Satz nach vorn. Mary-Lynnette sah, wie sie mit unglaublicher Schnelligkeit rannte und sprang. Zu schnell - kein Mensch schaffte aus dem Stand ein solches Tempo ...
    Was waren diese Mädchen?
    Die Bilder tanzten vor ihren Augen wie in einem Blitzlichtgewitter. Kestrel sprang. Überall um sie herum waren schwarze Bäume. Eine Motte tanzte im Strahl der Taschenlampe.
    Kestrel landete.
    Du musst Mark schützen! fuhr es Mary-Lynnette durch den Kopf.
    Ein Reh. Kestrel griff ein Reh an. Mary-Lynnettes Verstand füllte sich mit wirbelnden Bildern. Bildern, die keinen Sinn ergaben. Sie hatte die wilde Vorstellung, dass es gar nicht Kestrel war, sondern einer dieser Raptor-Saurier, die sie im Film gesehen hatte. Denn Kestrel bewegte sich genauso.
    Das Reh schrie.
    Das, was ich da sehe, das kann nicht sein, dachte sie ungläubig.
    Das Reh lag auf dem Boden, seine schlanken Beine schlugen um sich. Und Kestrel rang mit ihm. Ihr Gesicht war in der weißen Kehle des Tieres verborgen. Ihre Arme umschlangen es.
    Das Reh schrie wieder. Es wand sich in heftigen Zuckungen.
    Das Licht der Taschenlampe tanzte umher. Dann wurde sie fallen gelassen. Am Rand des Lichtscheins konnte Mary-Lynnette erkennen, dass zwei weitere Gestalten sich zu Kestrel gesellten. Sie alle hielten das Reh fest. Es zuckte noch einmal zusammen, dann hörte es auf zu kämpfen. Alles erstarrte. Mary-Lynnette konnte Jades Haar sehen, so fein, dass einzelne Strähnen vor dem dunklen Hintergrund das Licht einfingen.
    Auf der stillen Lichtung hielten die drei Gestalten das Reh und beugten sich darüber. Ihre Schultern bewegten sich rhythmisch. Mary-Lynnette konnte nicht genau erkennen, was sie taten, aber die Szene war ihr vertraut. Sie hatte sie in vielen Natursendungen über Löwen, Wölfe und Wildhunde im Fernsehen gesehen. Die Meute hatte gejagt und fraß jetzt.
    Ich habe immer versucht, eine gute Beobachterin zu sein. Und jetzt muss ich meinen eigenen Augen vertrauen, dachte sie.
    Mark neben ihr schluchzte.
    Ich muss ihn von hier wegbringen. Hoffentlich schaffen wir es, setzte sie ihren Gedankengang fort.

    Plötzlich löste sich ihre Erstarrung. Ihre Lippe blutete wieder. Sie musste darauf gebissen haben, während sie den Todeskampf des Rehs beobachtet hatte. Blut, das nach Kupfer und Angst schmeckte, füllte ihren Mund.
    „Komm", keuchte sie kaum hörbar und rutschte zurück. Zweige und Nadeln kratzten über ihren nackten Bauch, als sich ihr T-Shirt hochschob. Sie packte Mark am Arm.

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