Töchter Der Finsternis
Vampir umbringen kann.
„Ich muss mich erst um ihn kümmern", fuhr Jeremy fort. „Und dann lasse ich dich gehen, das verspreche ich dir. Wenn ich dir erst alles erklärt habe, wirst du verstehen."
Mary-Lynnette schaute von Ash auf den Fremden mit Jeremys Gesicht. Entsetzt ging ihr auf, was er damit meinte, dass er sich „um ihn kümmern" wollte. Drei Worte, die nur ein Teil des Lebens eines Jägers waren - eines Werwolfs.
So, jetzt habe ich auch etwas über Werwölfe erfahren, dachte sie. Sie sind Mörder, und ich hatte von Anfang an Recht. Rowan hat sich geirrt.
„Es wird nur eine Minute dauern", sagte Jeremy und zog die Lippen zurück.
Mary-Lynnettes Herz begann wie wild zu klopfen. Denn er zog die Lippen viel höher, als es bei einem Menschen möglich war. Sie konnte seinen weißrosa Gaumen sehen. Und sie erkannte, warum seine Stimme so verzerrt klang. Es lag an seinen Zähnen.
Weiße Zähne, die im Mondlicht aufblitzten. Die Zähne aus ihrem Traum. Vampirzähne waren, hiermit verglichen, nur Kinderkram. Die vorderen Schneidezähne waren dazu gemacht, Fleisch aus der Beute zu reißen. Die Eckzähne waren unglaublich lang, und die restlichen Zähne sahen aus, als wären sie zum Schneiden und Zerkleinern geschaffen.
Mary-Lynnette erinnerte sich an etwas, das Vic Kimbles Vater vor drei Jahren erzählt hatte.
Ein Wolf konnte den Schwanz einer Kuh so glatt abtrennen wie mit einer Heckenschere. Er hatte sich beschwert dass jemand anscheinend einen Wolfsmischling ausgesetzt hatte und dass das Tier hinter seinem Vieh her war ...
Aber es war kein Wolfsmischling gewesen, dachte sie. Es war Jeremy. Ich habe ihn jeden Tag in der Schule gesehen. Danach muss er nach Hause gegangen sein und hat sich in dieses Wesen verwandelt, um zu jagen.
Im Moment stand er mit fletschenden Zähnen über Ash gebeugt, und seine Brust hob und senkte sich heftig. Jeremy sah völlig wahnsinnig aus.
„Aber warum?" stieß sie hervor. „Warum willst du ihm wehtun?"
Jeremy sah hoch, und sie bekam einen neuen Schock. Seine Augen hatten sich verändert.
Vorhin hatten sie sich noch weiß von der Dunkelheit abgehoben. Jetzt war alles Weiße verschwunden. Sie waren braun mit riesigen, nassen Pupillen. Die Augen eines Tieres, dachte sie.
Also braucht er nicht auf den Vollmond zu warten. Er kann sich jederzeit verändern, setzte sie ihre Gedanken fort.
„Weißt du es denn nicht?" fragte er sie. „Kapiert es denn niemand? Das hier ist mein Revier."
So einfach war das also. Nachdem sie sich alle die Köpfe zermartert, diskutiert und Detektivarbeit geleistet hatten, war die Lösung am Ende so etwas Einfaches wie ein Tier, das sein Revier verteidigt.
„Für ein Jagdgebiet ist es klein", hatte Rowan gesagt.
„Sie haben mein Wild genommen", fuhr Jeremy fort. „Meine Rehe, meine Eichhörnchen. Sie hatten kein Recht dazu. Ich habe versucht, sie fortzujagen. Sie sind trotzdem geblieben und töteten immer weiter ..."
Er hörte auf zu reden, aber ein neues Geräusch kam aus seiner Kehle. Ein tiefes Rumpeln, das ihr Angst machte. Er knurrte so wie ein Hund, der einen warnen will, sich besser umzudrehen und fortzulaufen, bevor er dir an die Kehle springt...
„Jeremy!" schrie Mary-Lynnette. Sie warf sich nach vorn und ignorierte den heißen Schmerz in ihren Schultern. Aber das Seil hielt. Und dann fiel Jeremy über Ash her. Er hatte dabei den Kopf vorgestreckt, wie jedes Tier es macht, das mit den Zähnen tötet.
Sie hörte jemanden schreien: „Neiiin!" und merkte erst später, dass sie es selbst war. Sie kämpfte gegen ihre Fesseln an und fühlte das Brennen und die Nässe an ihren Handgelenken.
Aber sie konnte sich nicht befreien, und sie konnte das nicht aufhalten, was sich vor ihren Augen abspielte. Und die ganze Zeit hallte dieses unmenschliche Knurren in ihren Ohren.
Dann war plötzlich der Punkt erreicht, an dem ihr Verstand wieder klar und nüchtern wurde.
Ein Teil von Mary-Lynnette, der stärker war als ihre Panik, gewann die Oberhand. Er trat zurück und betrachtete die Szene am Straßenrand. Das Auto brannte immer noch und schickte weißen Qualm gen Himmel, wenn der Wind in die richtige Richtung blies. Ash lag regungslos auf dem Boden. Jeremys Bewegungen waren verschwommen, während er sich drohend über ihn beugte.
„Jeremy", sagte sie. Ihr Hals schmerzte, aber ihre Stimme war ganz ruhig. „Möchtest du nicht, dass ich es verstehe, bevor du das tust? Du sagtest, dass du dir das wünschst. Hilf mir zu verstehen,
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