Töchter der Luft
»Oh, Kinder«, sagte sie, während sie ihn hochhob, »das hättet ihr nicht tun sollen. Ich danke euch herzlich. Aber wie kann ich ihn je anziehen! Was wird Peter dazu sagen. Oh, du liebes bißchen.«
Darm schaute sie uns an. Sie schaute uns sehr eindringlich an.
»Kinder, ich bin ungeheuer stolz auf euch. Wirklich. Ihr habt hart gearbeitet und euch bewährt. Von jetzt an seid ihr nicht mehr meine Schülerinnen, ihr seid meine Freundinnen und Kolleginnen. Bitte nennt mich nicht mehr Miß Webley. Mein Name ist Peg.«
»Ja, Miß Webley«, riefen wir im Chor. Es war alles unbeschreiblich lustig, und ich wünschte nur eins, mich in eine Ecke verkriechen und mich verstecken zu können. Nicht nur wegen Donna oder Alma, sondern auch meinetwegen.
Die Abschlußfeier war auf elf Uhr vormittags angesetzt und sollte im Kaiserinnensaal im Charleroi steigen.
Wir versammelten uns, alle fünfundzwanzig, in einem Nebenraum. Zum erstenmal trugen wir unsere Uniformen in der Öffentlichkeit; aber sie waren nicht ganz vollständig. Es fehlte ihnen ein kleines Symbol, unser Berufsabzeichen sozusagen, die glänzende silberne Schwinge, die an die Seite der Kappe gesteckt wird wie eine Kokarde. Dies war der eigentliche Zweck und Kernpunkt der Feier, die Überreichung der Schwingen.
Miß Pierce und Miß Webley — unsere Freundinnen Janet und Peg — besichtigten uns eine nach der anderen, sie strichen die Kragen unserer weißen Blusen glatt, sie steckten Haarsträhnen zurück, sie zogen unsere Jacketts herunter, flüsterten Rat und Ermutigung und Anweisungen. Wir waren in zwei Gruppen eingeteilt wie früher im Unterricht, und das hieß, ich konnte nicht neben Jurgy sitzen.
Wir sprachen nicht viel. Wir standen herum und warteten. Fünfundzwanzig Mädchen, die ruhig darauf warteten, daß ihnen ein glänzendes kleines silbernes Abzeichen überreicht wird. Es schien lächerlich zu sein, und doch war es nicht lächerlich; und es war nicht einmal besonders aufregend. Ich kann mich irren, aber ich glaube, wir hatten alle die gleiche Empfindung: daß wir gerade erst an der Startlinie gestanden hätten. Und plötzlich sah ich es wieder vor mir; vier Wochen war das erst her, daß vierzig langbeinige, lebhafte, hübsche Mädchen dort oben im vierzehnten Stock durcheinanderquirlten, alle so frisch, alle so aufgeregt, alle so erpicht darauf, sich zu bewähren — vierzig, inbegriffen Annette und Alma und Donna und die anderen. Wir waren gnadenlos gesiebt worden, wir waren in eine Form gepreßt worden, wir waren in andere menschliche Wesen verwandelt worden: ruhig, gesammelt, würdevoll, damenhaft. Kein Gequirle, das sagt alles. Fünfundzwanzig Mädchen und kein Gequirle! Um halb elf wurde die Seitentür geöffnet, und wir marschierten hinein. Für jede Klasse waren drei Reihen Stühle aufgebaut worden, und eine Minute herrschte Gott sei Dank ein tolles Gequirle, und das machte mir einen Heidenspaß. Mrs. Montgomery, Mister Garrison, Doktor Schwartz und Doktor Duer saßen auf einer Tribüne, und wir standen vor ihnen herum, bis Peg und Janet riefen: »Setzt euch, Kinder.« Und natürlich, kaum setzte ich mich, da hatte ich auch schon eine Laufmasche weg, ich fluchte vor mich hin, und eines der Mädchen neben mir kicherte. Verlaß dich auf Thompson, sie verwandelt jede feierliche Angelegenheit in ein Possenspiel. Ich wette, ich werd’ sie noch vor den Kopf stoßen auf meiner eigenen Beerdigung.
Sobald wir alle saßen, erhob sich Mister Garrison leutselig, um eine Rede zu halten. »Es ist mir eine Ehre, Sie willkommen heißen zu dürfen in der Familie der Magna International Airlines, einer Familie, der etwa zweiundzwanzigtausend Männer und Frauen angehören. Sie sind die jüngsten Mitglieder dieser Familie; und wenn Sie gestatten, möchte ich gern ein paar Worte zu Ihnen sprechen.«
Das erschlägt mich immer wieder, wenn einem gewissermaßen Hände und Füße gebunden sind und jemand ankündigt: Wenn Sie gestatten, möchte ich gern ein paar Millionen Worte zu Ihnen sprechen. Ich habe sowieso etwas gegen Reden, ich kann sie einfach nicht hören; und in diesem Fall war es noch viel schlimmer, denn ich konnte Mister Garrison nicht anschauen, weil ich dann auch Doktor Duer gesehen hätte, und ich konnte es buchstäblich nicht ertragen, Doktor Duer anzusehen. Seine Hand war noch immer geschient und verbunden, seine grauen Augen blickten düster drein, und es drehte sich alles in mir um wie üblich; aber es drehte sich auch alles in mir um, wenn ich
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