Töchter der Luft
orangefarbene halblange Hosen trug und ein geradezu schauerliches Hawaii-Hemd. Er schwatzte auf sie ein, fuchtelte mit den Händen, grinste, kratzte seinen alten ledrigen Nacken, und — ich wollte meinen Augen nicht trauen — sie lächelte ihn an. Es machte ihr sichtlich Spaß, neben ihm zu sitzen und ihm zuzuhören. Es war eine der größten Überraschungen in meinem ganzen Leben, Jurgy lächelnd. Nicht kühl und mißtrauisch, sondern lächelnd und interessiert und hübsch.
Sie sah mich, als ich zögernd stehenblieb, und rief: »He, Carol. Komm her.«
Ich ging widerstrebend zu ihnen. Der alte Knabe sagte: »Hallo, kleine Dame«, und ich sagte: »Hallo, Mister Lukas.«
»Nimm dir einen Stuhl«, sagte Jurgy. »Trink ein Selterwasser mit uns oder einen Kaffee oder irgendwas.«
»Danke, Jurgy, aber ich wollte gerade schwimmen gehen.«
»Nun, dann setz dich und rauch wenigstens eine Zigarette mit uns.«
»Später, ich möchte erst ein bißchen schwimmen.«
Ich sprang ins Wasser und schwamm ein halbes Dutzend Mal hin und her, und als ich wieder hinauskletterte, sah ich Jurgy allein dasitzen. Ich ging zu ihr, schüttelte mir das Wasser aus dem linken Ohr und sagte: »Wie lange sitzt du hier schon mit dem alten Vogel?«
»Oh, eine Stunde, zwei Stunden. Ich weiß nicht.«
»Du hast dich ganz schön einfangen lassen.«
Sie stand auf. Ihre Miene war wieder mürrisch.
»Ich geh ‘rauf ins Zimmer.«
»Wart’ auf mich. Ich komme mit. Wie wär’s mit einem frühen Abendessen, Jurgy? Ich bin hungrig. Wir könnten hinterher ins Kino gehen —«
»Ich gehe aus zum Essen.«
»Du gehst aus?«
Sie schaute mich finster an. »Mister Lukas hat mich eingeladen.«
»Nun, großer Gott.«
»Ich wußte, daß du das sagen würdest«, rief sie und ging weg.
Ich lief hinter ihr her. »He, du — wart’ auf mich, ja? Ich komme mit ‘rauf.«
Sie ging neben mir her, verdrossen und widerstrebend. Sie schwieg, während wir im Selbstbedienungslift nach oben fuhren, und sie schwieg noch immer, während wir in unsere Zimmer gingen. Alma kreischte im Badezimmer voll ungeheurer Leidenschaft Puccini, und Jurgy hämmerte an die Badezimmertür und rief: »Beeil dich da drin.«
»Wer ist dieses?«
»Ich, Jurgy. Beeil dich, ja? Ich will auch das Badezimmer benutzen.«
»Du fortgehen, bitte.«
Jurgy rief: »Wenn du nicht in fünf Minuten draußen bist, komm ich ‘rein und zieh dich an den Ohren ‘raus!« Sie ging in ihr Zimmer, und ich folgte ihr. Sie setzte sich auf ihr Bett, und ich setzte mich auf Annettes Bett, und wir sahen einander an. Sie sprühte geradezu vor Feindseligkeit.
»Vielleicht hast du nicht genau gehört, was ich über Mister Lukas sagte. Er hat mich zum Dinner eingeladen.«
»Jurgy, das ist großartig.«
»Ich werde nicht mit ihm schlafen.« Sie war wahnsinnig vor Angriffslust. Noch nie hatte ich sie so wütend gesehen. Sie fuhr auf mich los wie eine bissige Schildkröte: »Er will mit mir in ein Restaurant gehen, zum Sonnenkönig oder so —«
Ich wollte sie so gerne beschwichtigen. »Das ist gleich hier«, sagte ich. »Im Hotel. Es ist wunderbar.«
Zu meiner Verblüffung verließ sie bei diesen wenigen Worten aller Kampfgeist. Sie sank in sich zusammen. »O Gott«, stöhnte sie.
»Was ist denn los? Es ist ein wunderschönes Restaurant. Es wird dir gefallen. Und das Essen ist himmlisch.«
Sie sprang auf und ging ans Fenster und blieb da stehen, den Rücken mir zugekehrt. »Es ist chic, wie?«
»Nun ja. Es ist das Hauptrestaurant des Charleroi, und du weißt, wie vornehm die sich hier haben.«
Eine Zeitlang schwieg sie. Dann sagte sie: »Ich kann nicht gehen.« Sie ging steif vom Fenster fort. »Ich muß Mister Lukas anrufen.« Sie langte nach dem Telefon.«
»Was ist denn los, Jurgy?«
»Nichts.
»Hör auf mit dem Getue. Sag’s mir.«
Ihre Augen waren immer blaß. Jetzt schienen sie überhaupt keine Farbe mehr zu haben. Sie sagte: »Ich habe kein Abendkleid. Ich geh’ nicht in ein solches Restaurant in einem meiner alten Fetzen. Also wird nichts daraus.«
»Oh, um Himmels willen, ist das alles? Du kannst meins anziehen. Wir haben die gleiche Größe —«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich borge nicht. Ich hab’ mir nie etwas geborgt. Von niemandem.«
Ich sagte: »Mary Ruth Jurgens, du ziehst heute mein Abendkleid an, oder ich schwöre dir, ich spreche kein Wort mehr mit dir, solange ich lebe!«
Sie lachte höhnisch. Richtig höhnisch. »Eine schöne Drohung!«
»Ich mein’s ernst.«
Sie
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