Töchter der Luft
die Behörden mir auf die Spur kommen, höchstwahrscheinlich die Bürgerrechte absprechen würde. Hier war ich, zweiundzwanzig Jahre alt und angeblich so stark wie ein Pferd, dabei fühlte ich mich in Wirklichkeit körperlich erschöpft nach einer Woche Arbeit und seelisch erschöpft nach einem Kuß vom Betriebspsychiater. Ich dachte auch an ihn auf eine ausgesprochen morbide, abstoßende, unamerikanische Art und Weise. Ich mußte, natürlich, an seine Augen denken. Und an seine Brust. Warum eigentlich mußte mir die immer wieder in den Sinn kommen? Heiliger Bimbam, man brauchte nur hinunterzugehen an den Strand, da waren Tausende von männlichen Brustkörben, prall wie Leberwürste. Und seine Ohren. Jeder Mensch hat Ohren, wozu also all die Aufregung?
Donna war weggefahren. Alma war ausgegangen, ich hatte keine Ahnung, wohin. Jurgy hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen, um sich die Fingernägel zu maniküren. Annette war selten zu sehen, und sie war auch jetzt nicht zu sehen. Die Luft war erfüllt von einem sanften angenehmen Summen, und ich schlief ein und träumte von Doktor Duer. Es geschah nichts Besonderes — wir sprachen nur miteinander, selig versunken ineinander, in tropischer Dunkelheit, und zwischen uns tanzten Leuchtkäferchen. Es war so süß und so schön und so vollkommen, daß ich am liebsten geweint hätte, als Alma mich weckte. Die Wirklichkeit war so öde und so erbärmlich.
»Carola!« rief sie vorwurfsvoll. »Du verbringen die ganze Tage in Schlaf! Du verschwenden diese feine Sonnenschein?«
»Wie spät ist es?«
»Fünf Uhr.«
Ich stöhnte.
Sie hüllte sich immer in ganz besonders wallende Gewänder, wenn sie in die Sonne hinausging, und trug immer einen riesigen Hut. Sie wollte nirgends braun werden. Schon die Vorstellung erfüllte sie mit Grauen. Sie war stolz auf ihre zarte Porzellanhaut und wollte sie sich erhalten um jeden Preis. Da stand sie also und schaute mich an, angetan wie Salome zum Tanz der sieben Schleier, und sie strahlte eine solche Selbstzufriedenheit aus, daß ich unwillkürlich fragte: »Was ist denn los mit dir?«
»Nichts.«
Wenn sie auf diese gezierte Art >nichts< sagte, wollte sie einem die Geschichte von Anfang bis Ende erzählen, aber man erhielt sie nicht gratis. Sie erwartete, daß man sie aus ihr herauszog. Zentimeter um Zentimeter.
»Nun?«
»Nichts, Carola. Nichts. Nur...«
»Nur was?«
»Oh, nichts. Ich sein jemand begegnet. Es sein nicht wichtig.«
»Einem Mann?«
»Eine Mann? Oh, nun. Ja. Vielleicht. Eine Art von Mann. Ja.«
So ging es ungefähr zwanzig Minuten lang. Und schließlich wußte ich soviel, daß es ein Mann wai namens Sonny, Sonny Kee. Er war ungefähr achtundzwanzig Jahre alt und stark — Carola! So stark! Stark! — Und er sähe gut aus, bloß seine Nase sei eingedrückt.
»Was meinst du damit, Alma, eingedrückt?«
»Von der Box. Er sein eine Box-Kämpfer.«
»Oh, Junge!« sagte ich.
»Er sein so nett. Wir reden zusammen all der ganzen Zeit. Er mir kaufen die Mittagessen. Heute abend —« Ihre Augen glänzten.
Es lief darauf hinaus, daß sie eine Verabredung zum Essen mit ihm hatte.
»Freut mich für dich.«
»Ja.«
»Aber nimm dich in acht.«
»Carola! Er sein einfache nette amerikanische Junge.«
Ich dachte, ich knicke das wohl besser gleich in der Knospe. »Hör mal, Alma, das eine laß dir gesagt sein von mir. Sc mancher dieser netten einfachen amerikanischen Jungen weiß verteufelt gut, wie man’s anstellt. Mach dir da nichts vor, Kindchen.«
Sie lachte herzlich.
»Hör auf mich, Alma.«
»Carola, nach die italienische Männer amerikanische Männer sein nur wie Kindern.« Sie lachte gönnerhaft. »Nett ja. Sehr lieb, einfach.«
»Alma, glaub’ mir, das stimmt nicht. Ich hab’s selber bitter erfahren müssen.«
»Du sein albern. Eine Junge wie diese Sonny, ich ihm um meine kleine Finger wickeln.« Sie stand auf und kicherte. »Eine Spaß, wie? Meine erste Rendezvous in Amerika. Nun ich nehmen eine Bad.«
Ich zog meinen alten schwarzen Badeanzug an und ging hinunter zum Schwimmbassin. Ja, das Leben ging an mir vorüber. Mittlerweile war es fünf Uhr vorbei, an einem herrlichen Samstagnachmittag, und kein Mensch hatte mich auch nur zu einem Selterwasser eingeladen.
Jurgy saß an einem Tisch neben dem Schwimmbassin in ihrem kakaofarbenen Strandanzug und dem bowlenschüsselförmigen Strohhut. Ich hätt’s mir denken können: sie hatte sich schnappen lassen von dem knochigen alten Mister Lukas, der
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