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Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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bedeckte die Augen mit den Händen, und ich wußte, daß sie weinte. Ich ging an meinen Schrank, nahm das Kleid heraus, brachte es ihr ins Zimmer und legte es neben sie auf das Bett. Ich sagte: »Hier. Ich hab’ einen trägerlosen Büstenhalter, der dazu gehört. Brauchst du den?«
    Sie schaute auf zu mir. Tränen strömten ihr übers Gesicht.
    Ich sagte: »Brauchst du den Büstenhalter oder nicht?«
    Sie nickte.
    »Okay. Los, zieh dich um. Ich werde Alma aus dem Badezimmer vertreiben und dir ein frisches Bad einlassen, okay?«
    Sie nickte wieder.
    Es machte in gewisser Weise Spaß zuzusehen, wie die beiden sich fertigmachten. Alma in einem roten Kleid und mit Perlen im Haar sah aus wie die Königin von Saba. Jurgy konnte es ihr nicht gleichtun an schierer Üppigkeit, sie hatte nicht diese Art schwellenden Fleisches. Jurgy hatte etwas anderes — Härte und Kraft, und ihr Körper hatte reine klare Linien, und so würde sie auch bleiben die nächsten tausend Jahre lang. Sie würde niemals diese Härte verlieren. Aber sie hatte die Rauheit verloren bei all der Aufregung, sie war atemlos und strahlend und erwartungsvoll.
    Alma bekam ein paar Anfälle von Hysterie, ehe sie ging, und das wunderte mich nicht bei ihr. Schließlich entschwand sie, kichernd und mit Herzklopfen über die Aussicht, ihren Boxkämpfer zu treffen. Jurgy konnte natürlich nicht hysterisch werden; sie war so verkrampft und verschlossen, daß sie nicht einmal ein paar harmlose Tränen vergießen konnte. Aber ich sah doch einen Hauch von Verträumtheit in ihren Augen, als sie fertig war zum Gehen, und sie sagte (wie jedes normale Mädchen, der Herr sei gepriesen): »Wie seh’ ich aus?«
    »Du weißt genau, wie du aussiehst. Hinreißend.«
    »Ehrlich?«
    »Ehrlich.«
    »Gott, ich hab’ Angst.«
    Ich wußte, daß sie Angst hatte. Ich sagte: »Sei nicht albern. Paß auf, du schlägst sie alle da im Restaurant, die verblassen neben dir.« Und in meiner Rolle als die alte Mutter Thompson fügte ich hinzu: »Vergiß nicht die Zeit, Aschenbrödel. Zwei Uhr.«
    »Okay.«
    Und sie ging, steif wie ein Laternenpfahl an einem frostigen Morgen, und ich stand in der Tür und sah ihr nach, bis sie im Fahrstuhl verschwand.
    Annette war ins Kino gegangen. Ich war ganz allein im Appartement, und niemals war ich mir so allein vorgekommen. Ich brachte es nicht fertig, mir etwas zu essen zu machen; ich brachte es nicht fertig, in die Kaffeebar hinunterzugehen, denn sie war überfüllt mit Pärchen, die sich leidenschaftlich in die Augen schauten. Es gibt sogar für Thompson eine Grenze dessen, was sie als Strafe ertragen kann. Also schüttete ich mir eine Kanne Kaffee auf, der sich als völlig ungenießbar erwies, und sagte mit lauter, klarer Stimme: »Nun, nun, nun! Was für eine wundervolle Gelegenheit, meine Briefschulden ein wenig abzutragen! Ei, ist das nicht großartig?« Ich setzte mich ans Fenster auf Donnas Bett und schrieb an meine Mutter und an eine Tante und einen Onkel in Philadelphia und an einen Vetter zweiten Grades in Seattle, den ich seit fünf Jahren nicht gesehen hatte; und dann fing ich eine Epistel an Tom Ritchie an, die so lang zu werden versprach wie >Krieg und Frieden«, wenn ich mir alles von der Seele schreiben wollte. Schließlich hatte ich als gekränkte Frau das Recht, zu verlangen, daß er mein Leid mit mir teile. Und als ich es ausschüttete, Seite um Seite, setzte es allmählich sogar mich selber in Erstaunen, welch eine Unmenge Leid ich ertrug. Offensichtlich war mir bis zu diesem Augenblick nie klargeworden, wie elend ich war, wie heimtückisch das Leben mir zusetzte. Und nachdem ich neunzehn Seiten vollgeschrieben hatte — die Uhr holte gerade zu zwölf Schlägen aus — zerriß ich sie alle und fühlte mich sehr viel wohler. Ich stand auf, schüttelte mich wie ein nasser Hund, zerriß die anderen Briefe, die ich geschrieben hatte, und dachte, okay, Kindchen, du hast deinen Samstag gehabt. Jetzt geh schlafen. Und als ich dabei war, mich auszuziehen, ging die Tür auf, und Jurgy kam herein, bleich wie ein Gespenst.
    Ich wagte nicht zu sprechen. Sie sagte: »He« mit schwacher Stimme, taumelte quer durchs Zimmer, setzte sich auf einen Stuhl und starrte mich leer an. Sonderbar, sie benahm sich, als wäre sie vergewaltigt worden, aber sie zeigte keinerlei Spuren einer Vergewaltigung. Mein Kleid war unbeschädigt. Irgend jemand mußte früher oder später sprechen. Ich sagte: »Nun, wie hat es dir gefallen im Sonnenkönig?«
    »Ah,

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