Töchter der Luft
wunderbar.«
Das brachte mich einen Augenblick aus der Fassung. Ich sagte: »Wie war das Essen?«
»Ah, es war köstlich.«
Ich stutzte noch mehr. »Was hast du gegessen?«
»Steak.«
Ich wurde nicht schlau aus ihr. Sie benahm sich zweifellos vergewaltigt, aber sie redete nicht vergewaltigt. Also stellte ich ihr die entscheidende Frage in der Absicht, einen Hinweis zu bekommen, warum sie in diesem alarmierenden Zustand zurückgekehrt war.
»Hast du einen angenehmen Abend verbracht, Jurgy?«
Sie antwortete unbestimmt: »Tja. Ganz angenehm.«
Schöner Hinweis! Ich war verdutzter denn je. Also versuchte ich es auf einem anderen Wege. »Was bringt dich so früh zurück? Ich meine, du hättest doch bis zwei Uhr fortbleiben können?«
Sie antwortete in demselben, unbestimmten, benommenen Ton: »Luke meint, ich sollte nicht nach Mitternacht aufbleiben.«
»Du solltest nicht was?«
»Nach Mitternacht aufbleiben.«
»Aber in aller Welt: Warum nicht?«
»Ich soll morgen um sechs Uhr aufstehen.«
Ich sagte: »Wenn du das noch einmal sagst, schreie ich los. Morgen ist Sonntag. Warum mußt du um sechs Uhr aufstehen?«
»Luke möchte Brahman-Rinder besichtigen.«
Sie war nicht vergewaltigt worden, sie war nicht einmal betrunken. Sie war schlicht und einfach benommen. Ich sagte: »Luke ist Mister Lukas?«
»Tja. So heißt er. Luke Lukas.«
»Sagtest du Brahman-Rinder?«
»Ja.«
»Wozu will er sie besichtigen?
»Das ist sein Beruf, verstehst du?«
»Mein Herz, ich verstehe verdammt noch mal gar nichts. Was ist er? Ein Schlächter? Muß er diese Rindviecher besichtigen, ehe
er sie schlachtet, oder was?«
»Nein, er züchtet Rinder.«
»Was, zum Teufel, sind überhaupt Brahman-Rinder? Klingt mir indisch.«
»Das stimmt. Sie kommen aus Indien.« Sie hatte plötzlich einen lichten Augenblick. »Man züchtet diese Brahmart-Rinder hier in Florida, verstehst du? Und Luke möchte hinfahren und sie sich ansehen, verstehst du? Und er möchte, daß ich mitkomme, und er will früh aufbrechen. Das ist alles.« Sie ging zur Verbindungstür und sagte: »Nun, gute Nacht.«
»Gute Nacht. Schlaf gut.«
Sie zögerte, die Hand auf der Klinke. » Carol.«
»Was?«
»Dies ist keine Einbahnstraße.«
»Was meinst du damit?«
»Du hast mir heute abend geholfen. Und neulich auch. Wenn ich dir irgendwann helfen kann, gerne.«
»Oh, Jurgy —«
»Wart einen Augenblick. Laß mich ausreden. Wegen Luke. Carol, ich möchte, daß du mir das glaubst, er ist wirklich ein guter Kerl. Das ist alles. Und ich bitte dich nur noch um eines: Mach keine spöttischen Bemerkungen mehr über ihn.«
Ich starrte sie an: »Jurgy.«
»Ich sag’s dir. Er ist ein guter anständiger Bursche, Carol.«
»Um Gottes willen, Jurgy, sei vernünftig. Er ist dreimal so alt wie du — «
»Er ist sechsundfünfzig, das stimmt. Und ich bin dreiundzwanzig. Und er spricht mit lauter Stimme, und es schert mich einen feuchten Staub.« Dann sagte sie: »Komm, mach mir den Reißverschluß auf, ja? Ich kann das Kleid ebensogut hier ausziehen.«
Ich machte ihr den Reißverschluß auf, und sie stieg aus dem Kleid und gab es mir. Dann ging sie ins Badezimmer, und einen Augenblick später kam sie wieder heraus, im Bademantel, den trägerlosen Büstenhalter in der Hand. Als sie ihn mir gab, sagte sie: »Danke für die Leihgabe.«
»Gern geschehen.«
Und ehe ich es mir versah, beugte sie sich vor und gab mir einen kleinen Kuß auf die Wange. Es war wie das Picken eines Vogels, als hätte sie nie küssen gelernt. Sie ging in ihr Zimmer und schloß die Tür fest hinter sich ohne ein weiteres Wort.
Ich schlief und schlief und schlief in den Sonntag hinein. Ich hörte nicht Alma kommen, ich hörte nicht Jurgy um sechs Uhr fortgehen, und ich wurde nicht einmal ganz wach, als Alma gegen neun Uhr aufstand, sich anzog und fortging. Annette verschwand etwa zur gleichen Zeit, und als ich endlich aufwachte, war ich wieder allein im Appartement. Ich wunderte mich, als ich mich in dem großen sonnigen Raum umschaute und zwei leere Betten erblickte und dann ins andere Zimmer ging und ebenfalls zwei leere Betten sah. Aber alles klärte sich auf, als ich auf die Uhr schaute. Zehn Uhr! Oh, Himmel!
Mir war dennoch prächtig zumute. All mein Elend war davongeschwommen im Schlaf, und all meine Lebenssäfte schienen sich verjüngt zu haben. Ich fühlte mich so jung wie noch nie. Ich nahm eine eiskalte Dusche, und ich trug nur einen Hauch Make-up auf, denn nach all dem Schlaf brauchte
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