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Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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»Worüber, zum Teufel, redet sie?«
    Ich schaute sie an, dann schaute ich Alma an, die fast blaurot angelaufen war vor Wut; und ich sagte: »Komm, Donna, hilf mir deine Matratze hochheben.«
    »Ha?« sagte Donna verblüfft; aber ich drängte sie, und wir hoben ihre Matratze hoch, und da lag das Geld.
    »Nun, was sagst du dazu?« sagte Donna.
    Alma fauchte und räkelte sich wieder auf ihrem Bett, ihr Hinterteil Donna zugekehrt.
    Ich sagte: »Laß dir das eine Lehre sein, Donna.«
    »Aber warum?« sagte Donna begriffsstutzig.
    Ich ging ins andere Zimmer. Jurgy starrte aus dem Fenster.
    »Es hat sich gefunden«, sagte ich.
    »Tja. Ich hab’ die Italienerin kreischen hören.«
    Ich wartete. Sie blieb stehen, wo sie stand, und starrte auf den Golfstrom. »Was ist los mit dir, Jurgy?« fragte ich schließlich.
    »Was los ist?«
    »Ja.«
    Sie drehte sich sehr langsam um. Sie sagte: »Das weißt du verdammt genau. Du dachtest, ich hab’s genommen, nicht wahr?«
    »Du meinst das Geld?«
    »Tja. Das Geld.«
    Ich sagte: »Jurgy, willst du immer so weitermachen?«
    »Wer sonst sollte es genommen haben, wenn nicht ich? Das war’s, was du dachtest. Ich hab’s in deinen Augen gelesen.«
    »Weißt du was?« sagte ich. »Du bist verrückt. Du bist übergeschnappt. Du bist einfach plem-plem. Ich sollte dir dafür eine ‘runterhauen.«
    Sie sagte: »Du traust mir nicht. Warum solltest du auch?«
    »Oh, zum Teufel«, sagte ich und drehte mich um zum Gehen.
    Sie sagte: »Carol«, und als ich sie anschaute, standen ihr Tränen in den Augen.
    Ich sagte: »Ich geh ‘runter schwimmen. Kommst du mit?«
    »Das ist eine gute Idee«, sagte sie. »Das kühlt mich vielleicht ab.«

    Wir hatten keine besonderen Aufgaben für das Wochenende, nur die allgemeine Anweisung, alles noch einmal zu wiederholen, was wir gelernt hatten, so daß wir es auswendig hersagen könnten, Wort für Wort. Und das bedeutete tatsächlich, daß wir uns gewissermaßen erholen konnten: wir konnten uns Miami Beach ansehen und Schaufenster betrachten und vor all den hinreißenden Kleidern seufzen, die wir uns nicht leisten konnten; wir konnten sogar eine Dampferfahrt machen zu einem Indianerdorf in den Everglades.
    So gegen zehn Uhr früh an unserem ersten Samstag beschlossen Jurgy und ich, einen langen Spaziergang zu machen. Wir wollten über die Collins Avenue durch den Indian Creek und uns irgendwie durchfragen zu Burdine’s und da irgendwo ein paar Würstchen essen und uns hinterher Schaufenster ansehen bis zum frühen Nachmittag. Dann wollten wir zurückgehen ins Hotel und uns ein wenig hinlegen, und anschließend würden wir sehen, was uns der Abend zu bieten hätte. Zufällig hatten unsere Kleider die gleiche Farbe, elfenbein, und die Leute hätten uns für Schwestern halten können. Wir hatten fast die gleiche Größe und Figur, wir waren ungefähr gleich alt und beide blond, und der einzige wirkliche Unterschied lag in unserem Gesichtsausdruck. Jurgy hatte diese recht kühle, abweisende Miene — kein Wunder, wenn man an ihre Erfahrungen in Buffalo dachte, während ich gewöhnlich aussehe wie eine sorglose Schwachsinnige.
    Jurgy und ich gingen hinunter in die Hotelhalle und schritten kerzengerade mit gesetzter Würde zum Ausgang, als von irgendwoher aus dem Nichts sich ein Mann vor uns auftürmte und mit lauter Stimme sagte: »Entschuldigen Sie, meine Damen. Wissen Sie zufällig, ob heute irgendwo in der Stadt ein guter Film läuft?«
    Wir konnten ihn nicht übersehen. Er versperrte uns den Weg. Und außerdem war er riesig, eine Art menschlicher Dinosaurier, ein großer, breiter, knochiger Mann, sehr knochig und sehr linkisch, ungefähr einen Meter neunzig groß. Auch sein Gesicht war knochig und sonderbar knollig, und er trug eine Brille mit Goldrand. Sein Anzug war hellbraun mit altmodisch breitem Revers; seine Krawatte war ausgesprochen scheußlich, ein kubistisches Muster in Rot und Gelb und Blau; und in der Hand trug er eine Melone. Es sah aus, als wäre er mindestens fünfundsechzig Jahre alt.
    Es war verteufelt scharfsinnig für einen umherstreifenden Dinosaurier, zwei Mädchen um zehn Uhr vormittags mit dieser Frage zu überfallen, vor allem wenn dieser umherstreifende Dinosaurier offensichtlich alt genug war, um ihr Großvater zu sein. Aber er stand genau vor uns, und wir hatten keine andere Wahl, wir mußten etwas sagen. Wir. Es gab dabei kein wir; denn Jurgy stand stumm und starr da wie ein Laternenpfahl im Schneesturm, und ich mußte die Honneurs

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