Töchter der Sechs (German Edition)
allerlei Grundlagen lernte, die für einen Gelehrten unerlässlich war. So hatte Mawen in den vergangenen sieben Jahren allerlei Wissen über Mathematik, Natur und Geschichte aufgenommen.
Außerdem gab es da noch die Gelehrtensprache Zyn, die nur auf Roteha verwendet wurde. Anders als die Allgemeinsprache Cytrian wurde Zyn nicht gesprochen, sondern lediglich für wissenschaftliche Aufzeichnungen genutzt. Über den Ursprung dieser Sprache wussten selbst die Gelehrten nicht viel zu sagen. Man nahm an, dass die Sprache noch aus der Ära vor der Zeitenwende stammte, aber sicher war man sich da nicht. Jedoch war es den Gelehrten gelungen, die Sprache über die vergangenen Jahrtausende zu bewahren. Je länger sich Mawen mit dieser Sprache beschäftigt hatte, desto faszinierter war er gewesen. Zyn beruhte auf dem gleichen Alphabet wie Cytrian, war jedoch von einer Logik, die nicht durch Veränderungen im tagtäglichen Gebrauch aufgeweicht worden war. Wenn Zyn für Niederschriften wissenschaftlicher Erkenntnisse verwendet wurde, dann waren dabei keinerlei Freiheiten gestattet. Nur gelegentlich mussten neue Worte entwickelt werden, um neuen Entdeckungen und Entwicklungen Rechnung zu tragen, doch auch dann nur nach sehr strengen Vorgaben. Daher waren neue wissenschaftliche Schriften kaum von älteren zu unterscheiden. Nach nur sechs Jahren hatte Mawen Zyn sowohl flüssig lesen und verstehen als auch schreiben gekonnt, was ihm viel Lob von Ruwen und den anderen Gelehrten eingebracht hatte. Überhaupt hatte sich sein Lehrmeister bis jetzt stets sehr zufrieden mit Mawens Fortschritten gezeigt.
Während Mawen aufs Meer schaute, zogen plötzlich Segel am Horizont seine Aufmerksamkeit auf sich. Das Schiff hielt unverkennbar auf Roteha zu. Daher entschied er, es wäre Zeit, in die Siedlung, in der die Gelehrten wohnten und deren Zentrum die große Bibliothek mit angeschlossenen Gemeinschaftsräumen bildete, zurückzukehren.
Da er seinen Lehrmeister in dem gemeinsamen Haus nicht vorfand, machte er sich auf den Weg in den großen Speisesaal. Wirklich hatten sich bereits die meisten Gelehrten zum Frühstück eingefunden. Bevor sich Mawen zu den anderen Schülern an die lange Tafel setzte, ging er hinüber zu seinem Lehrmeister und berichtete ihm von dem entdeckten Schiff. „Danke für die Nachricht, ich werde jemanden zum Hafen schicken.“
Nach der Morgenmahlzeit ging Mawen wie gewohnt in die Bibliothek und vertiefte sich in das Werk zur Geschichte Cytrias, welches ihm sein Lehrmeister empfohlen hatte. Wenig später aber wurde er in seiner Konzentration unterbrochen. Ein Gong läutete, was bedeutete, dass sich alle im großen Saal einfinden sollten.
Aus allen Winkeln der Siedlung strömten Gelehrte und Schüler in den großen Saal, wo sich die obersten Gelehrten, ein Dreiergremium, welches alle vier Jahre gewählt wurde und für die Verwaltung der Insel zuständig war, bereits eingefunden hatten. Neben ihnen saß ein fremder Mann, offenbar der Grund für die Zusammenkunft. Nachdem alle Platz genommen hatten, erläuterte der Vorsitzende den Grund der Zusammenkunft. Der Bote war aus der Hauptstadt Aaran gekommen, um im Auftrag des Tempels und der Oberpriesterin die Gelehrten um Rat zu ersuchen. In kurzen Worten schilderte der Bote, was sich in der Nacht der Wintersonnenwende im Tempel zugetragen hatte. Nun hoffte man, dass die Gelehrten bei der Entschlüsslung der fremden Schrift helfen konnten.
Die obersten Gelehrten baten um Vorschläge, wer für diese Aufgabe geeignet war. Zahlreiche Vorschläge wurden gemacht, doch einige Gelehrte lehnten es ab, Roteha zu verlassen. Nach einiger Diskussion wurde Ruwen vorgeschlagen. Seine Reiselust war bekannt und außerdem war er bewandert in Geschichte und religiösen Fragen. Ruwen stimmte zu und bat die obersten Gelehrten darum, dass sein Schüler Mawen ihn begleiten durfte. Zunächst war das Gremium skeptisch, doch Ruwen argumentierte, dass Mawen eine sehr große Begabung gezeigt hatte, als es darum ging, Zyn zu lernen. Also war es beschlossen.
Jahr 3619 Mond 2 Tag 29
Jal
Es hatte fast zwei Monde gedauert, die Pläne für ihr erstes eigenes Schiff zu erstellen und zu zeichnen. Oft hatte sie tagelang über Kleinigkeiten gegrübelt, aber ihr Meister hatte sie davon überzeugt, dass ihr Plan nun reif für die Umsetzung war. Es würde nur ein kleines Schiff sein, ein Segler, der maximal zehn Personen und etwas Fracht transportieren konnte. Wenn ihre Überlegungen korrekt
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