Töchter der Sechs (German Edition)
ihrer Aufregung hatte sie bis jetzt noch nicht daran gedacht, ihm von dem Brief zu erzählen.
Es war ungewöhnlich, dass seine Frau ihn in seiner Schreibstube am Hafen aufsucht. Für gewöhnlich ging ein jeder von ihnen tagsüber seinem Beruf nach und sie trafen erst abends wieder zusammen. Schon als sie den Raum betrat, konnte er an ihrem Gesicht ablesen, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie kannten einander inzwischen immerhin fast neunzehn Jahre. Zwar wirkte sie äußerlich gefasst, aber vor ihm konnte sie ihre innere Unruhe nicht verbergen. Er erhob sich und schloss sie wortlos in die Arme. Nach einer Weile begann sie zu erzählen. Bei Aden wich Ungläubigkeit der Sorge um seine Tochter. Er konnte verstehen, warum Carlynn so aufgewühlt war. Behutsam schob er sie auf den Stuhl, ging vor ihr in die Hocke, umfasste ihre Hände und bat sie, noch einmal alles zu erzählen, was sie aus dem Brief erfahren hatte. Als sie geendet hat, fragte er: „Wie hat Darija es aufgenommen?“
„Du weißt doch, wie sie ist. Sie lässt sich ihre Gefühle nicht anmerken. Sie ist einfach wieder an ihre Arbeit gegangen.“
„Wenn sie dazu bereit ist, wird sie zu uns kommen. Wir müssen ihr nur das Gefühl geben, für sie da zu sein. Wenn wir mit ihr sprechen, müssen wir versuchen, unsere eigenen Ängste beiseitezulassen. Es spielt keine Rolle, was wir selbst als Auserwählte der Götter durchgemacht haben. Schlussendlich hat sich damals ja alles zum Guten gewendet.“ Liebevoll küsste er seine Frau auf die Stirn. „Wir müssen darauf vertrauen, dass sich auch für Darija alles zum Besten entwickelt.“
Carlynn nickte und bemühte sich um ein zuversichtliches Lächeln. Wie froh sie doch war, Aden an ihrer Seite zu haben. All die Jahre war er ihr stets Stütze und Hilfe gewesen, sie waren nicht nur Liebende, sondern auch die besten Freunde, verstanden einander ohne Worte. Wenn sie für ihre Kinder einen Wunsch freihätte, so wäre es der, dass sie auch eine solche Liebe finden würden. Darija war jetzt fast so alt wie sie damals, als sie Aden begegnete und auch ihre beiden Söhne waren nicht mehr so weit vom Erwachsenwerden entfernt. Der Ältere, Roji, war gerade sechzehn geworden. Wie schnell die Zeit doch vergangen war. Bald würde ein Kind nach dem anderen das Elternhaus verlassen. Bei Darija würde es sogar schon sehr bald so weit sein. Sie riss sich zusammen, um nicht wie im Tempel in Tränen auszubrechen. Sie konnte Aden nur beipflichten, dass sie alles tun mussten, um ihre Tochter zu unterstützen. Sie erhob sich. „Ich werde jetzt wohl wieder gehen. Jaren ist allein auf dem Markt und ich bin schon zu lange weg.“
Aden nahm sie noch mal in den Arm und küsste sie. In dem Kuss lag das Versprechen, ihr stets beizustehen, was immer auch geschehen würde.
Jahr 3619 Mond 4 Tag 25
Eiren
Besonders eilig hatte der Bote es offensichtlich nicht gehabt. Fünf Tage hatte es gedauert, bis der Brief von der Vogelstation Perias Farm erreicht hatte, obgleich es ein Weg von maximal zwei Tagen war. Nicht dass es Peria etwas genutzt hätte, wenn die Nachrichten sie früher erreicht hätten. Sie hatte den Brief Yerinas mehrfach gelesen und konnte den Inhalt noch immer nicht fassen. Zwar war sie stolz auf Madia, die sich um die Übersetzung des Textes verdient gemacht hatte. Dass ihre Tochter nun jedoch im Auftrag der Götter auf Reisen gehen sollte, war ihr weniger recht. Madia war noch sehr jung gewesen, als sie damals nach Roteha gegangen war. Damals jedoch hatte Peria sie sicher auf der Gelehrteninsel gewusst. Nun aber sollte sie erst durch Cytria und später sogar über das Meer in ein fremdes Land reisen. Zwar war sie nun älter, doch mit ihren siebzehn Sommern kaum alt genug für ein solches Abenteuer. Allerdings war sie damals nicht viel älter gewesen, als sie ihr Elternhaus verlassen hatte. Am liebsten wäre sie sofort nach Aaran aufgebrochen, um bei Madia zu sein. Doch wahrscheinlich würde sie zu spät eintreffen, schon in wenigen Tagen würde sie nach Jal aufbrechen. Erst jetzt nahm sie den Brief zu Hand, den Madia für sie beigefügt hatte. Da das Mädchen wohl um den Inhalt des Briefes der Oberpriesterin gewusst hatte, hielt sie sich nicht mit Erklärungen auf. Vielmehr versicherte sie ihrer Mutter und ihrem Vater, dass sie sie liebte und dass sie sich keine Sorgen machen sollten. Sie freute sich sogar auf die bevorstehenden Herausforderungen und Entdeckungen. Nachdem sie den Brief gelesen hatte, war sich
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