Töchter der Sechs (German Edition)
Pflicht, den Willen der Götter zu erfüllen.“
„Doch was genau ist es, was die Götter von uns erwarten?“ Zada schaute ratlos. Obgleich sie den Inhalt des Textes schon etwas länger kannte und Zeit hatte, darüber nachzudenken, konnte sie sich offensichtlich keinen Reim darauf machen. Mawen musste sich eingestehen, dass auch er in dieser Hinsicht nicht schlauer war. Allerdings fiel der Wille der Götter ohnehin eher in den Bereich der Priesterinnen. Er war gespannt, was Yerina zu sagen vermochte. Schließlich hatte sie in ihrer Jugend hinreichend Erfahrung mit göttlichem Wirken gemacht. Doch zunächst schwieg die Oberpriesterin, wohl um über die Antwort auf Zadas Frage nachzudenken. Nach einer Weile sah sie erst Zada und dann Mawen in die Augen und sprach: „Was immer der Schlüssel ist, ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr diejenigen seid, die ihn benutzen sollen.“
„Wieso?“ entfuhr es Zada.
„Nun, Ihr stammt von Helwa und habt damit die Barriere zwischen den Reichen schon einmal überwunden. Mawen aber war maßgeblich an der Entschlüsselung des Textes beteiligt.“
„Was Zada betrifft, so kann ich Euch nur zustimmen. Was mich angeht, bin ich mir nicht sicher. Außerdem ist von drei Auserwählten die Rede. Wer ist also die dritte Person? Seid Ihr es oder vielleicht Ruwen?“
„Weder ich bin es noch Ruwen. Ich habe eine Vermutung, wer die dritte Person sein könnte. Ich vermute, die dritte Auserwählte ist die Tochter von Carlynn und Aden. Ich werde zu den Göttern beten, damit sie mir ein Zeichen geben, ob meine Vermutung richtig ist.“
Wie sie zu dieser Schlussfolgerung gekommen war, verschwieg sie wohlweislich, denn Zada ahnte nichts von Mawens wahrer Identität. Damals, als Mawen in Aaran eingetroffen war, hatte sie mit ihm vereinbart, dass sie niemandem sein Geheimnis offenbaren würde. Mawen verstand sicher auch ohne Erklärung, warum sie Darija für die dritte Auserwählte hielt. Alle drei waren sie Kinder oder Ziehkinder der Sechs.
Mawen wusste nicht, was er sagen sollte. Die Vorstellung, von den Göttern auserwählt zu sein, ängstigte ihn. Er wusste wohl, mit welchen Entbehrungen dies verbunden war, denn seine Mutter und sein Vater hatten ihm oft genug von ihrer Mission zur Rettung Cytrias berichtet. Zwar waren sie nie allzu konkret auf grausige Details eingegangen, aber Mawen hatte die vergangenen Kümmernisse in ihren Gesichtern ablesen können. Zada schienen ähnliche Gedanken zu quälen, deutlich konnte er die Angst in ihren braunen Augen sehen. Noch konnte er sich nicht genau vorstellen, wie sich dieser göttlicher Auftrag auf sein Leben auswirken würde. Wenn es ihm wirklich bestimmt war, nach Helwa zu reisen, musste er seine Ausbildung auf Roteha beenden. Allerdings könnte er dort Dinge erfahren, die in keinem der Bücher der Bibliothek zu finden waren. Der Gedanke an die vor ihm liegenden Entdeckungen ließ freudige Erregung in ihm aufsteigen. Zuerst aber mussten sie den erwähnten Schlüssel finden. Der Text war diesbezüglich leider recht wage gewesen, aber sie würden auch diese Herausforderung meistern. Dennoch war er natürlich nicht blind für die Gefahren. Sie würden in ein weitgehend fremdes Land reisen, Zada wusste auch nur das, was sie bis zu ihrem sechsten Lebensjahr erfahren hatte. Immerhin würde es ihm mit ihrer Hilfe gelingen, die Sprache zu erlernen. Einiges hatte er sich schon während der gemeinsamen Arbeit an der Übersetzung angeeignet.
Yerina schaute von einem zum anderen, sagte aber nichts, sondern ließ den jungen Leuten die Zeit, die sie brauchten, um die Neuigkeiten zu verdauen. Es war nicht leicht, plötzlich alle Lebenspläne über den Haufen geworfen zu sehen. Das wusste sie aus eigener Erfahrung. Gerade Zada hatte in den letzten Tagen genug Neuigkeiten verkraften müssen. Auch Mawen würde es nicht leicht fallen, seine Studien auf Roteha aufzugeben. Er hatte so viel dafür geopfert, seine Identität aufgegeben.
Sie rang um Fassung. Sollte sie wirklich eine Auserwählte der Götter sein? Würde sie wirklich nach Helwa reisen, in ein Land, an das sie kaum Erinnerungen hatte? Dabei hatte sie geglaubt, hier im Tempel ihren Platz im Leben gefunden zu haben. Wie würde es nun weitergehen? Das Einzige, was ihr einen Funken Mut gab, war die Tatsache, dass Mawen ihr zur Seite stehen würde. Obwohl noch ein Schüler, hatte der Gelehrte sie mit seinem Wissen und seiner Klugheit beeindruckt. Er würde für jedes Problem eine
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