Töchter der Sechs (German Edition)
es sicher einiges an Geschick und Übung sowie eine genaue Kenntnis der Geografie des abgebildeten Gebietes. Sicher würden, sobald es bekannt würde, viele Gelehrte und Zeichner kommen, um dies hier zu studieren und nachzuahmen. Sie schaute zu Mawen hinüber, dessen Skizze der Karte Helwas bereits weiter fortgeschritten war. Auf Papier wirkte es so unspektakulär und gewöhnlich.
Langsam kam Zada wieder zu Kräften, ihr Atem ging wieder ruhig und gleichmäßig und ihr Herz schlug ihr nicht mehr bis zum Hals. Beim Betrachten der Karte Helwas war eine Flut von Bildern über sie hereingebrochen. Es war ihr unmöglich gewesen, einen klaren Gedanken zu fassen. Es war, als wäre der letzte Schleier über ihrer Erinnerung zerrissen worden. Während die Erinnerungen bisher nur vereinzelt aufgetaucht waren, war sie nun von ihnen überwältigt und niedergerungen wurden. Es war ihr unmöglich gewesen, Ordnung in das Chaos von Erinnerungsfetzen zu bringen, daher hatte sie sie zunächst mit aller Macht verdrängt, was ihr nun auch endlich gelungen war. Sie würde zu einem späteren Zeitpunkt versuchen, dies alles mit Hilfe von Gebet und Meditation zu verarbeiten und zu sortieren. Jetzt aber war es an der Zeit, ihre Gefährten zu unterstützen.
Sie erhob sich und ging zu Darija hinüber, die noch immer die Karte Helwas studierte. Vorsichtig wagte auch sie einen Blick, darauf vorbereitet, erneut von Bildern heimgesucht zu werden. Doch ihre Bemühungen, sich zu beruhigen, schienen erfolgreich gewesen zu sein. Sie konnte die Karte ausgiebig betrachten und es geschah nichts. Darija, die ihr Hinzutreten inzwischen bemerkt hatte, wies sie auf die zweite Karte hin, die die Fläche oberhalb zierte. Das Abbild Cytrias war für Zada fast ebenso fremd wie das Helwas. Durch das Leben im Tempel hatte sie noch nicht viel von Land gesehen. Ihre Reise in den Uralt-Wald war die erste Gelegenheit gewesen, Aaran zu verlassen. Daher musste sie Darija um einige Erklärungen zur Topografie bitten. Zwar hatte sie schon Karten Cytrias gesehen, ihnen jedoch nie besondere Beachtung geschenkt, schließlich hatte sie ihr Leben im Tempel verbringen wollen. Vielleicht war es gut, dass alles so gekommen war und sie gezwungen gewesen war, diese Reise anzutreten.
Bei der Betrachtung der Karten aber schlich sich bald ein seltsames Gefühl ein. Sie brauchte jedoch eine Weile, um es in Worte zu fassen. „Es ist nicht komplett.“
Darija fragte: „Wie meint Ihr das? Ist es, weil nur zwei der sechs Flächen verändert sind?“
„Nein, es fehlt auch etwas auf den zwei Flächen.“
Mawen schaltete sich in das Gespräch ein: „Ihr hat recht, dass zu Karten gewöhnlich eine Legende gehört.“
„Das ist es nicht.“ Zada fuhr mit der Hand über die gemeinsame Kante der beiden Flächen und, als habe sie damit eine Staubschicht weggewischt, erschienen auf einmal Schriftzeichen ober- und unterhalb der Kante. Es war Helwarisch und es gelang ihr mühelos, sie zu entziffern:
'Der Welten-Nebel ist nur durchlässig während der Ebbe der Macht.'
Nachdem sie es den anderen beiden vorgelesen und übersetzt hatte, fragte sie: „Was meint ihr, hat das zu bedeuten?“
Mawen überlegte laut: „Nun, ich denke, mit dem Welten-Nebel ist die Barriere gemeint, die die einzelnen Welten voneinander trennt. Und mit der Ebbe der Macht ist wahrscheinlich die Zeit zwischen den Sonnenwenden gemeint. Vermutlich wird es uns nur in den Tagen um einundzwanzigsten Tag des neunten Mondes gelingen, nach Helwa zu segeln. Da wir aber die Entfernung dorthin nicht kenne, wird es schwierig, die richtige Zeit zum Aufbruch zu bestimmen.“
Darija meinte: „Vielleicht können wir das doch. Die Karten sind so detailreich, dass es mich wundern würde, wenn nicht auch die Entfernung zwischen den beiden Ländern exakt wäre. Und die Lage des Welten-Nebels würde ich an der Würfelkante vermuten. Allerdings wäre es gut, wenn wir eine Bestätigung für diese Annahmen hätten.“
„Eure Vermutungen hören sich plausibel an, insbesondere, da die Länder nicht mittig auf den Würfelflächen liegen. Ohne genauere Untersuchungen würde ich die Gesamtdauer der Überfahrt auf anderthalb bis zwei Monde schätzen, das heißt, bis zum Welten-Nebel ist es maximal ein Mond. Wir sollten also Mitte bis Ende des achten Mondes in Jal aufbrechen. Meint Ihr, ich liege mit meiner Schätzung richtig, Darija?“
Die Angesprochene warf einen Blick auf den Würfel und nickte, bevor sie
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