Töchter der Sechs (German Edition)
sitzen und aufzupassen. Aber damals hatte es wenigstens geholfen, wenn sie lange genug auf dem Stuhl hin- und hergerutscht war, irgendwann hatte ihre Mutter Erbarmen gehabt und sie zum Spielen nach draußen geschickt. Hier aber half alles nichts, sie musste sitzen bleiben. Ihre verstohlenen Blicke in Felkans Richtung verrieten ihr, dass auch er kaum noch stillsitzen konnte.
Endlich war die Befragung beendet. Der Regierungsrat wollte drei Tage über das Gehörte nachdenken und auch Mawens Aufzeichnungen in Gänze studieren. Sie sollten in vier Tagen erneut erscheinen.
Jahr 3620 Mond 5 Tag 16
Aaran
Es waren Zada und Galica, die sie durch Aaran führten. Tharet musste den Sitzungen des Rates beiwohnen und Yerina wurde im Tempel gebraucht. Felkan, der bisher nur wenig von Cytrias Hauptstadt gesehen hatte, war fasziniert von dem Leben, das auf den Straßen herrschte. Alles war bunt und lebhaft. Kein Vergleich zu der grauen Eintönigkeit Heets. Zwar waren ihm die Unterschiede schon in Jal aufgefallen, aber Aaran war um ein Vielfaches größer und es ging auch noch geschäftiger zu. Er wusste kaum, wohin er seinen Blick zuerst wenden sollte. Bisweilen war er froh, dass er Darijas Hand halten konnte, weil er sonst in einer Menschenmenge verloren gegangen wäre. Hatte er in den letzten zwei Tagen viele Fragen beantworten müssen, so war er es nun, der allerlei wissen wollte. Zada und Galica gaben ausführlich Auskunft, doch manches konnten auch sie nicht erklären. Langsam konnte er verstehen, wie sich Zada und Darija in Helwa gefühlt haben mussten.
Das Laufen durch Aaran war nicht unbedingt das, was sie sich nach den zwei Tagen vor dem Regierungsrat gewünscht hatte, lieber wäre sie auf ein kleines Boot gestiegen und hätte sich den Seewind um die Nase wehen lassen. Auch ein Ausflug durch Wiesen und Felder wäre nach ihrem Geschmack gewesen, aber wenigstens war sie in Bewegung und konnte Felkans Hand halten. Die Antworten, die Zada und Galica auf Felkans und Tiras Fragen gaben, hörte sie kaum. Sie hing ihren eigenen Gedanken nach. Bei der Anhörung vor dem Rat hatte sie Dinge über Helwa erfahren, die sie bis dahin noch nicht gewusst hatte. Nicht nur, was die Stellung der Frau in der Gesellschaft anging, waren die Unterschiede zu Cytria zum Teil gewaltig. Was wäre, wenn diese Unterschiede irgendwann ihre Beziehung belasten würden. Zwar hatte sie keine Sorge, dass Felkan von ihr erwarten würde, dass sie sich ebenso zurückhielt wie die Frauen in Helwa, über diesen Punkt hatten sie schon gesprochen. Doch was war mit solchen Sachen wie Kindererziehung, was wäre, wenn sie sich dabei nicht einig wären? Über Kinder hatten sie noch nie geredet, wollte er überhaupt welche? Wie stand sie eigentlich zu dem Thema? Sie hatte sich nie viele Gedanken über Sachen wie Familie gemacht. Es gab viele Dinge, über die sie sich klar werden musste, bevor sie Felkan wirklich heiraten konnte. Vielleicht war es verfrüht gewesen, ihm die Ehe zu versprechen. Ganz so, als habe er ihre Bedenken gespürt, drückte er ihre Hand und schaute sie an. Sein Lächeln ließ ihr Herz höher schlagen. In diesem Moment waren alle Zweifel und Fragen nebensächlich. Sie würde einfach die Zeit mit ihm genießen.
Jahr 3620 Mond 5 Tag 17
Aaran
Nachdem sie am Vortag Aaran erkundet hatten, wollten sie an diesem Tag den Tempel aufsuchen. Zada fand, dass es Zeit wäre, den Göttern für ihre sichere Heimkehr zu danken. Dies hatten sie zwar auch schon im Tempel von Jal getan, aber sie meinte, sie sollten es noch einmal dort tun, wo alles begonnen hatte. Seit ihrer Erfahrung zur Wintersonnenwende wusste sie zwar, dass Gebet und Danksagung mitnichten an einen Ort gebunden waren, aber der Tempel war für sie auch ein Stück Heimat und ein Ort, an dem sie sich wohlfühlte. Es sprach also nichts dagegen, dort den Kontakt zu den Göttern zu suchen. Auch sollten die anderen die Gelegenheit bekommen, mehr als einen flüchtigen Blick auf den Tempel und den Heiligen Würfel zu werfen.
Zufällig befand sie sich im Tempel, als Zada und ihre Begleiter eintrafen. Nach einer kurzen Begrüßung gab sie ihnen Zeit fürs Gebet, danach lud sie sie ein, ihr beim Essen Gesellschaft zu leisten. Seit dem Tag ihrer Ankunft hatten sie einander nicht mehr gesehen. Diesmal drehten sich die Gespräche um die Befragung durch den Rat, aber auch um Mawen. Yerina hatten seinen Brief gelesen und konnte gut nachvollziehen, warum er geblieben war. Sein Forschungsdrang
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