Toechter Der Suende
ihre Leute. Zu Tode getroffen war keiner, wie sich auch bei näherer Untersuchung herausstellte, doch zwei der Knechte würden Wochen brauchen, bis sie wieder auf die Beine kamen, und eines der Pferde, die Lisas Sänfte getragen hatten, war auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Dies war in Maries Augen ein Verlust, den sie am leichtesten verschmerzen konnte. Viel mehr bangte sie um ihre mittlere Tochter. Lisa hatte sich zwar beruhigt, saß aber immer noch von Schwäche übermannt am Boden und weinte so heftig, dass ihr die Tränen wie Bäche über die Wangen liefen.
Marie versuchte, die werdende Mutter zu beruhigen. »Es wird alles gut werden, meine Kleine, es wird gewiss wieder alles gut!«
»Ich habe keine Angst um mich und um mein Kind, sondern um Hildegard. Wenn ich daran denke, was ein Kerl, der hilflose Weiber überfällt, ihr alles antun kann, packt mich höllische Wut!«
»Mich hat sie längst gepackt«, antwortete Marie leise.
Ihre Augen sprühten Funken, und sie wirkte so agil und stark, als würde sie nicht fast sechs Jahrzehnte zählen. In dieser Stunde schwor sie sich, nicht zu rasten, bis Hildegard befreit war und deren Entführer seine gerechte Strafe erhalten hatte.
6.
B runo von Reckendorf hätte am liebsten laut gejubelt. Es war besser gelaufen, als er es erwartet hatte. In ihrer Selbstgefälligkeit hatte die Kibitzsteiner Witwe nicht mit einem Angriff gerechnet und war von der Attacke völlig überrascht worden. So war es ihm gelungen, ihre jüngste Tochter aus dem Sattel zu heben und mit ihr davonzureiten, ohne dass jemand nur den Versuch hatte machen können, ihn daran zu hindern. Auch mit seinen Männern war er zufrieden. Diese hatten wie befohlen die Knechte und Reisigen der Witwe mit den flachen Seiten ihrer Schwerter niedergeschlagen.
Nur eines fuchste ihn gewaltig, und deswegen wandte er sich Siffer Bertschmann zu, der neben ihm ritt. »War es nötig, die Witwe mit gepanzerter Faust niederzuschlagen? Wenn das Weib daran stirbt, haben wir in dem Moment, in dem dieser elende Falko zurückkehrt, eine so erbitterte Fehde am Hals, dass nur einer sie überleben kann!«
Bertschmann musterte ihn spöttisch. »War das nicht Euer Plan? Ihr sagtet doch, Ihr würdet diesem jungen Hund das Fell über die Ohren ziehen und es als Trophäe an die Wand hängen!«
Zwar hatte Junker Bruno in seiner Wut über Falko Adler etwas Ähnliches gesagt, und er war auch jetzt noch fest entschlossen, den Kerl um Gnade flehend oder tot zu seinen Füßen zu sehen. Doch das sollte auf eine Weise geschehen, die keinen Schatten auf seine Ehre warf. Über die Entführung eines Mädchens würden die meisten Ritter Frankens lachen. Wenn dabei jedoch deren Mutter ums Leben gekommen war, würde man ihn als Frauenmörder ansehen und mit Acht und Bann belegen.
Junker Bruno fiel auf, dass er sich, seit er für sich die Fehde mit Falko Adler ausgesprochen hatte, immer wieder über seinen Kastellan ärgern musste. Mittlerweile fragte er sich, ob dies tatsächlich der Mann war, dem er seine Halbschwester zum Weib geben durfte. Doch zu seinem Leidwesen hatte er Siffer Bertschmann sein Wort gegeben.
Bisher hatte seine Gefangene wie ein Sack über der Kruppe seines Pferdes gehangen. Nun begann sie, sich zu regen. Junker Bruno hielt sie dennoch nur mit einer Hand fest und lenkte mit der anderen seinen Gaul.
»Es wird besser für dich sein, wenn du mir gehorchst. Müsste ich dich zum Gehorsam zwingen, würdest du es bereuen«, warnte er Hildegard, als diese sich gegen seinen Griff zu stemmen begann.
»Elender Schurke, dafür wirst du bezahlen! Meine Mama, ich …«
Da sie mit diesen Worten seine eigenen Befürchtungen nährte, versetzte er ihr einen Schlag mit dem Zügelende. »Wenn du nicht sofort ruhig bist, werde ich dich knebeln!«
Kaum hatte er die Drohung ausgesprochen, da verstummte Hildegard und wehrte sich nicht mehr. Zufrieden, weil er sie so leicht zum Gehorsam gebracht hatte, ritt Junker Bruno auf ein Dorf zu und wollte es durchqueren. Er kam genau bis zum Hof des Dorfschulzen.
Dort begann Hildegard mit Armen und Beinen zu strampeln und schrie wie am Spieß. »Hilfe, ich werde entführt! Rettet mich vor diesen Schurken!«
Der Dorfschulze und mehrere seiner Knechte stürzten aus dem Haus und starrten auf den Reiter, der sichtlich Mühe hatte, seine Gefangene und sein Pferd zu bändigen.
»Was soll das?«, rief der Schulze noch.
Da hielt Siffer Bertschmann ihm die Klinge unter die Nase. »Halt’s Maul und
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