Töchter des Feuers: Roman (German Edition)
Fluß.
Unter ihm, links und rechts des beständigen Fahrzeugstroms, bildeten Arbeiter, Angestellte und Touristen ein farbenfrohes, sonnenbeschienenes Bild. Mit einem Mal hatte er das Gefühl, als wären die entweder allein, zu zweit oder in Gruppen spazierenden Menschen kilometerweit von ihm entfernt.
Er beobachtete ein junges Paar, das mit Rucksäcken beladen und dennoch mit fröhlichem Gesicht vor einem Schaufenster stand und einander spontan umarmte und küßte, und mit einem Mal wandte er sich neidisch ab.
Die Rastlosigkeit, die er im Augenblick empfand, war er nicht gewohnt. Sein Schreibtisch war mit Papieren übersät, und sein Kalender wies zahlreiche Termine auf, doch immer noch stand er reglos da. Seit seiner Kindheit hatte er sich den allgemeinen und auch seinen eigenen Erwartungen gemäß zielgerichtet von der Schule an die Universität, von der Universität ins Geschäftsleben, von Erfolg zu Erfolg bewegt.
Vor sieben Jahren hatte sein Vater während einer Geschäftsreise in London hinter dem Steuer seines Wagens einen Herzinfarkt erlitten, und das Fahrzeug war mit voller Wucht in einen Leitungsmast gekracht. Als wäre es erst gestern gewesen, erinnerte sich Rogan an die grimmige Panik und die traumgleiche Ungläubigkeit während des Fluges von Dublin, und an den entsetzlichen, sterilen Geruch des Krankenhauses, in das das verunglückte Ehepaar Sweeney eingeliefert worden war.
Sein Vater war auf der Stelle tot gewesen, und seine Mutter war ihm eine knappe Stunde später gefolgt. Auf diese Weise hatte er keinen der beiden mehr lebend gesehen, und erst eine Ewigkeit später hatte er den Verlust zu begreifen gelernt. Doch vor ihrem Tod hatten sie ihm eine Menge beigebracht – über die Bedeutung der Familie und dessen, was von ihr geschaffen worden war, über die Liebe zur Kunst, die Liebe zum Geschäft und wie sich beides miteinander verbinden ließ.
Im Alter von sechsundzwanzig war er plötzlich zum Vorstandsvorsitzenden von Worldwide und sämtlichen Filialen avanciert, hatte ihm das Schicksal die Verantwortung für Angestellte, für wichtige Entscheidungen, für diverse Künstler und ihre Arbeiten in die Hände gelegt. Sieben Jahre lang hatte
er nicht nur an der Erweiterung, sondern zugleich an der beständigen Verbesserung des Unternehmens gewirkt, und seine Arbeit hatte ihn stets ganz erfüllt.
Der Grund für die Rastlosigkeit, die er momentan empfand, war jener windige Winternachmittag, an dem er Maggie Concannons Werk zum ersten Mal begegnet war.
Er hatte das Kunstwerk während einer der obligatorischen Teestunden mit seiner Großmutter entdeckt, und seither verspürte er den unüberwindbaren, unglückseligen Drang, ihr Werk zu besitzen – nein, verbesserte er sich, da ihm die Wortwahl nicht gefiel – Herr zu sein über das Schicksal der künstlerischen Leistung, über die Karriere der Künstlerin selbst. Seit jenem Nachmittag war ihm der Kauf von nicht mehr als zwei ihrer Stücke geglückt.
Eins der beiden kam einem flüchtigen Tagtraum gleich, eine schlanke, beinahe gewichtslose, mit schimmernden Regenbogen durchsetzte Säule, nicht viel größer als seine Hand.
Das andere Stück, von dem er insgeheim erregt und geradezu besessen war, kam ihm hingegen wie ein gewalttätiger, von einem leidenschaftlichen Wesen in ein turbulentes Glasgebäude gezwängter Alptraum vor. Eigentlich hätte er den Eindruck haben müssen, daß das auf seinem Schreibtisch stehende Kunstwerk unausgewogen war. Er müßte der Ansicht sein, daß es aufgrund des wilden Kampfes von Farben und Formen, aufgrund der von dem gedrungenen Fundament aufragenden, klauengleichen Ranken häßlich war.
Statt dessen kam ihm die Figur faszinierend und auf beunruhigende Weise sinnlich vor. Und ließ ihn sich fragen, was für eine Frau zur Schaffung zweier so gegensätzlicher, doch gleichermaßen einzigartiger Werke in der Lage war.
Seit dem Kauf der Skulpturen vor etwas über zwei Monaten hatte er in der Rolle des potentiellen Mäzens immer wieder Kontakt zu der Künstlerin gesucht, und zweimal hatte er sie telefonisch erreicht, doch sie hatte auf sein Angebot geradezu
unhöflich reagiert. Sie brauche keinen Mäzen, hatte sie erklärt, vor allem nicht, wenn dieser ein mit zuviel Bildung und zuwenig Geschmack ausgestatteter Dubliner Geschäftsmann war.
Oh, damit hatte sie ihn getroffen.
Sie suchte sich, so hatte sie ihm in ihrem melodiösen westirischen Singsang erklärt, ihre Objekte, ihre Arbeitszeiten und ihre Abnehmer
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