Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
nächsten Beet hinüber . Vor dem Brunnen des Amors stehen dunkelrote Rosen, die kurz davor sind, wieder zu erblühen. Sie könnten auch etwas Aufmerksamkeit vertragen. Ich flitze hinüber und summe vor mich hin, während ich die unebene Erde glätte.
Da fällt ein Schatten auf mich. »Nimmst du mir wieder meine Arbeit weg?«
Beim Klang seiner Stimme fängt mein Herz an, schneller zu schlagen. »Du kannst mir helfen, wenn du magst.«
Finn kniet sich neben mich und gibt dabei darauf acht, einen gewissen Abstand zu wahren. Vom Küchenfenster aus sind wir sehr gut zu sehen. »Und dir macht meine Gesellschaft nichts aus?«
Ich sehe ihn vollkommen vernarrt an. Seine kirschroten Lippen und seine Sommersprossen und warmen braunen Augen. »Niemals«, sage ich und lächele.
»Du machst das gern, oder?«, fragt er und zeigt auf die Blumen. »Du magst nicht nur die schönen Ergebnisse, sondern auch die Arbeit.«
»Ja, das tue ich.« Mrs O’Hare schimpft deswegen ständig mit mir. Ich vergesse immer, meine Gartenhandschuhe anzuziehen, und sie ermahnt mich regelmäßig, dass ich mir die Hände ruiniere und Dreck unter die Fingernägel bekomme. Ich verstehe wirklich nicht, was ein bisschen Dreck schaden soll. »Es gefällt mir, dass es hinterher schöner aussieht als vorher. Und ich mag auch nicht den ganzen Tag drinnen eingesperrt sein.«
»Verstehe.« Er fährt mir mit dem Daumen über die Wange. »Du bist wunderschön, weißt du das? Ich habe es leider versäumt, dir das schon früher zu sagen. Wie eine moderne Pomona – die Göttin der Baumfrüchte. Oder Venus – sie war die Göttin der Gärtnerei und der Fruchtbarkeit, ehe sie zur Göttin der Liebe wurde.«
Er schaut mir einen Moment in die Augen – lange genug, um mich rot und nervös werden zu lassen – , und dann fängt er an, die Kletterpflanze, die in den Rosenstrauch gewachsen ist, zu entwirren. Ich gehe in die Hocke und beobachte, wie seine Hände sich bewegen und sanft die Blätter voneinander trennen.
Er ist ja so verführerisch. Wenn ich mit ihm zusammen bin, würde ich am liebsten einfach alles, was mit Prophezeiungen und Verpflichtungen und Schwestern zu tun hat, vergessen. Ich wäre so gern ein ganz normales verliebtes Mädchen.
Ich stehe auf, setze mich auf den Rand des Springbrunnens und lasse meine Hände hinter mir durch das kühle Wasser gleiten. »Und was machst du gern?«
»Entschuldigung?« Er sieht mich an und legt den Kopf schief wie ein Sittich.
»Na ja, ich arbeite gern im Garten. Tess backt. Maura« – Maura träumt davon, dem Ganzen hier zu entkommen. Ich schüttele den Kopf. Den Gedanken will ich nicht weiterverfolgen. »Wenn du weder hier noch im Buchladen arbeiten müsstest, wie würdest du dann deine Zeit verbringen?«
Er denkt eine Weile nach. »Wahrscheinlich irgendwo drinnen eingesperrt. Bevor mein Vater gestorben ist, hatte ich vor, zur Universität zu gehen. Es gibt heutzutage keinen großen Bedarf an unabhängigen Gelehrten, aber ich würde gern meine eigenen Übersetzungen von den alten Sagen anfertigen. Orpheus und Eurydike ist eine meiner liebsten. Philemon und Baucis. Alle Heldentaten Apollons.«
Ich kenne die Geschichten, es sind die, die Tess zusammen mit Vater gelesen hat. »Nun , du kannst ja immer noch deine Übersetzungen anfertigen, oder?«, frage ich und fische ein Blatt aus dem Brunnen.
»Ich versuche es. Es ist nur schwierig, die Zeit dafür zu finden.«
»Tut mir leid«, sage ich, als mir wieder bewusst wird, dass ich nicht die Einzige bin, die jemanden verloren hat. »Mit deinem Vater. Das muss schlimm gewesen sein.«
»Es ging sehr schnell. Ich weiß nicht, ob es das besser oder schlechter gemacht hat. Mutter war sehr tapfer, aber ich weiß, dass es für sie am schlimmsten gewesen ist. Ich versuche, ihr zu helfen, wo ich kann.«
»Du bist ihr sicherlich eine große Hilfe.«
Finn fährt sich durch sein ohnehin schon unordentliches Haar. Macht er sich überhaupt die Mühe, es morgens zu kämmen? »Vielleicht. Ich wünschte, es gäbe mehr, was ich für sie tun kann.«
Eine Woge von Fürsorge überkommt mich. Ich habe selbst genug Sorgen, ich weiß, aber irgendwie möchte ich ihm einen Teil seiner abnehmen. »Ich wüsste gern, was dich bekümmert. Ich wüsste gern mehr über dich . Alles. Was deine Lieblingsblume ist. Dein Lieblingsessen. Dein Lieblingsbuch.«
Finn lächelt. »Alles zu seiner Zeit.«
Die Zeit haben wir aber nicht! Ich habe überhaupt keine Zeit mehr. Wenn Elena erst einmal
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