Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
eine Verräterin.
Eine Stunde später stürme ich in Belastras Buchladen. Marianne sitzt auf ihrem Stuhl hinter dem Verkaufstresen und hat ihre Lesebrille auf der kleinen Stupsnase. Als ich hereinkomme, schiebt sie sie mit dem Zeigefinger hoch. Die Geste bricht mir das Herz, denn sie erinnert mich an Finn.
»Haben Sie gerade Kunden?«, frage ich.
Sie schüttelt den Kopf und legt ihr Buch beiseite. »Nein, aber – «
»Ich habe diesen Brief gefunden«, unterbreche ich sie und ziehe den zerknitterten Brief von Mutter aus meiner Tasche. »Mutter hat ihn für mich hinterlassen. Der Rest der Prophezeiung – sie besagt, dass nur zwei der Schwestern das zwanzigste Jahrhundert erleben werden, weil eine von ihnen eine der anderen töten wird. Mutter will, dass ich einen Weg finde, das zu verhindern. Sie denkt, dass ein Krieg bevorsteht und ich wegen meiner Gabe mittendrin sein werde. Ich weiß nicht, wie ich das verhindern soll. Die Schwestern drohen Maura und mir bereits. Sie sind skrupellos. Wussten Sie das?« Ich stampfe zum Tresen und werfe ihr den Brief hin. »Ich muss sagen, ich finde, es war ein großer Fehler von ihr, es mir nicht gesagt zu haben, bevor sie gestorben ist und mir all diese Verantwortung aufgebürdet hat!«
Ich brülle richtig, und daher bin ich nicht erstaunt, als Marianne große Augen macht. Nur – sie sieht nicht mich an. Sie sieht – an mir vorbei.
Ich schlucke. Irgendwie habe ich das unangenehme Gefühl, dass jemand hinter mir steht, in den verschlungenen Reihen der Bücherregale. Und wenn es keine Kundschaft ist …
Ich drehe mich langsam um.
Es ist Finn, dessen Gesicht weiß ist wie Papier. »Du … Cate … Was hast du gerade gesagt?«
Mir krampft sich der Magen zusammen.
Er sollte nicht hier sein. Er sollte es nicht auf diese Art erfahren.
Die Zeit scheint stehen zu bleiben.
Ich kann ihn nicht weiter anlügen. »Ich bin eine Hexe.«
Kapitel 18
Er guckt – wie? Enttäuscht?
Sein Blick ist unergründlich. Der einzige Anhaltspunkt ist die gerunzelte Stirn, die Falte zwischen den Augenbrauen.
»Das hast du mir nicht erzählt«, sagt er.
»Nein.«
»Warum nicht?«
Wie soll ich das erklären? Er denkt, ich wäre mutig und stark, aber das bin ich nicht. Noch nicht einmal halb so sehr, wie ich es gern wäre. Manchmal bin ich auch einfach nur verängstigt und unsicher. Und jetzt vereine ich gerade so viele Gefühle in mir – ich bin verzweifelt und verärgert und sehr, sehr verbittert, weil ich diejenige bin, die all dies richten soll. Wenn ich das zugeben würde – was würde er dann von mir denken?
Ich will ihn nicht aufgeben. Aber ihm zu sagen, was ich für ihn empfinde, wie wichtig er mir innerhalb von ein paar Wochen geworden ist –
Ich weiß nicht, ob ich den Mut dazu habe.
»Ich dachte, du würdest es dir vielleicht denken«, sage ich leise. »Als ich gekommen bin, um in das Prozessregister zu sehen.«
Er schüttelt den Kopf. »Ich dachte, dass vielleicht eine deiner Schwestern – «
»Wir alle drei. Und wir sind nicht nur irgendwelche Feld-, Wald- und Wiesenhexen. Wir sind Teil einer Prophezeiung. Du – ich nehme an, du hast es gerade gehört.«
Er zuckt mit den Schultern. »Du hast geschrien.«
Ich sehe Marianne an, die uns beide aufmerksam beobachtet. Ich frage mich, wie viel sie sich denken kann.
»Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll«, sage ich mit schwacher Stimme. »Sie werden mich zwingen, nach New London zu gehen. Die Prophezeiung sagt, dass eine von uns entweder eine zweite Schreckensherrschaft herbeiführen oder die Hexen wieder zurück an die Macht bringen wird. Sie denken, dass ich es bin, und die Schwesternschaft – das sind alles Hexen und – ich werde Chatham für immer verlassen müssen und – «
Mir versagt die Stimme. Ich schlucke die Tränen hinunter und verberge das Gesicht in meinen Händen. Ich atme gleichmäßig – ein, aus, ein, aus – und versuche, mich zu beherrschen.
Eine Hand legt sich auf meine Schulter und dreht mich um. Ich sehe zwischen meinen Fingern hindurch. Vor mir steht Finn, der voller Mitgefühl zu mir hinuntersieht. Mitgefühl und – etwas anderes, etwas, das mir das Gefühl gibt, als wäre es in Ordnung, wenn ich weine oder heule oder gar mit Sachen um mich werfe. Als würde er mich deswegen nicht weniger mögen. Er zieht mich zu sich heran und nimmt mich in die Arme. Vor den Augen seiner Mutter.
Er ist so viel mutiger als ich.
Ich schniefe in den grauen Baumwollstoff seines Hemdes. »Ich will dich nicht
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