Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
genug sind, um ein halbes Dutzend Erinnerungen auszulöschen.
Ich habe stundenlang darüber nachgedacht, aber ich habe keine Lösung gefunden. Es gibt keine Lösung.
Das ist das Problem, nehme ich an. Wir sind der Bruderschaft ausgeliefert.
»Ich würde rennen«, sagt Finn, während er mit einer Hand über das glatte Eichenholz des Tresens fährt.
Ich hebe ruckartig den Kopf. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, was er sagen würde, aber bestimmt nicht das.
»Sie sind ein Mann. Sie werden niemals wegen irgendetwas angeklagt werden.«
Seine Augen sehen auf einmal ziemlich finster aus. Ich hätte niemals gedacht, dass der unbeholfene, kluge Sohn des Buchhändlers irgendwelche düsteren Vorahnungen haben könnte. Als wenn er mit dem Schlimmsten rechnen würde. »Ich meine, wenn Clara angeklagt werden sollte. Oder Mutter. Ich würde sie an der Hand nehmen und mit ihnen weglaufen. Wir würden versuchen, in der Großstadt unterzutauchen.«
Meine Kapuze fällt wieder herunter, aber ich ignoriere es, ich bin wie gelähmt. Ich habe noch nie zuvor einen Mann so reden gehört. Es ist verräterisch. Es ist – faszinierend. »Und wie würden Sie den Wachen entkommen wollen?«
Finn senkt seine Stimme. »Ich würde sie töten, wenn es sein muss.«
Als wenn das so einfach wäre! Einfach so jemanden umzubringen!
»Und wie?« Ich kann die Skepsis in meiner Stimme nicht verbergen. Ich kann mir Finn Belastra absolut nicht vorstellen, wie er die stattlichen Wachen der Brüder mit Faustschlägen außer Gefecht setzt.
Er beugt sich vor und zieht eine Pistole aus seinem Stiefelschaft. Ich gehe näher heran. Ich sollte erschreckt sein – ein gutes Mädchen wäre es zumindest – , aber ich bin fasziniert. John hat ein Jagdgewehr, aber er benutzt es nur, um Hasen und Rehe für unser Abendessen zu erlegen; es ist nicht dazu gedacht, Leute zu erschießen. Nicht einmal die Wachen der Brüder tragen Waffen – zumindest nicht öffentlich. Mord ist eine Sünde.
Aber Hexerei ist das auch.
Finn wiegt die Pistole in der Hand. Er scheint ganz unbefangen damit umzugehen. »Ich bin ein ausgezeichneter Schütze. Vater ist früher jeden Sonntag nach dem Gottesdienst mit mir rausgefahren.«
Unsere Blicke treffen sich. Ich habe den plötzlichen, noch nie dagewesenen Drang, zu gestehen. Ihm zu sagen, dass auch ich für meine Schwestern töten würde, wenn es so weit kommen sollte. Ich würde alles tun.
Und das würde er auch. Ich kann es ihm an seinem Gesicht ansehen, es ist so klar wie der helle Tag.
»Warum sollten sie hinter ihnen her sein?«, frage ich. Ist Marianne etwa auch eine Hexe? Hat Mutter sich ihr deswegen anvertraut?
»Es gefällt ihnen nicht, dass Mutter so unabhängig ist. Sie haben Angst, dass sie ihre Regeln missachtet und verbotene Bücher verkauft. Und sie haben recht«, sagt er, und um seinen Mund zuckt ein Lächeln. »Und mit mir sind sie auch nicht gerade glücklich. Sie haben mir einen Posten im Rat angeboten. Haben gesagt, sie würden mir eine Stelle als Lehrer in der Schule geben, wenn ich den Buchladen schließen würde. Ich glaube, ich habe ihren Stolz verletzt, als ich abgelehnt habe.«
Wie wagemutig. Kein Wunder, dass sie so darauf aus sind, sein Geschäft zu ruinieren. Seine Familie wäre weniger in Gefahr, wenn er zugesagt hätte. »Warum haben Sie Nein gesagt?«, flüstere ich.
Er beugt sich über die Ladentheke, unsere Gesichter sind nur noch Zentimeter voneinander entfernt. Er riecht nach Tee und Tinte. »Dieser Laden war die Lebensgrundlage meines Vaters. Sein Traum. Ich werde mich ihrer Angstmacherei nicht beugen.«
»Das ist mutig von Ihnen. Nein zu ihnen zu sagen.«
Seine kirschroten Lippen zucken. »Mutig oder töricht? Bruder Elliott ist letzte Nacht gestorben. Ich kann mir vorstellen, dass sie wollen, dass ich seine Stelle annehme. Wenn ich noch einmal ablehne, werden sie sich vielleicht rächen.«
Ich erstarre. Dann ist Brennas Vorhersage also wahr geworden.
»Warum erzählen Sie mir das?« Meine Stimme klingt gepresst. Ihm muss klar sein, dass ich ihn melden könnte: wegen des Registers, wegen der Pistole, weil er den Brüdern droht.
Finn beugt sich wieder hinunter und lässt die Pistole in den Stiefel gleiten. »Vielleicht, weil ich Ihnen beweisen wollte, dass Sie mir vertrauen können.«
Das tue ich. Ich will es. Es erstaunt mich, wie sehr ich es will. Ich kenne Paul, seit ich ein Säugling war, und ich war nie so nah daran, ihm meine Geheimnisse zu erzählen. »Warum?«
Er richtet
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