Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
Zehen. Als er versucht, sein Fußgelenk zu bewegen, lässt er ein schmerzerfülltes Zischen durch die Zähne.
Mrs O’Hare kommt herbeigelaufen und fängt wieder an, ihn zu bemuttern. »Armer Junge. Ist es gebrochen?«
»Nur eine schlimme Verstauchung, denke ich.«
Mrs O’Hare holt ihren Nähkorb aus der Ecke. Einige unserer Unterkleider und Strümpfe sind darin aufgetürmt und warten darauf, ausgebessert zu werden. Ich werde rot und hoffe, dass Finn sie nicht bemerkt. »Lassen Sie mich mal sehen. Ich habe schon mehr als einen verstauchten Knöchel verbunden. Cate kann das bezeugen«, sagt Mrs O’Hare.
»Nein, nein, ich mach das schon selbst«, protestiert Finn.
»Unsinn! Ich bin gleich wieder da.« Mrs O’Hare hebt einen Topfdeckel, um etwas vor sich hin Kochendes umzurühren. Ein verführerischer Duft von Zwiebeln und Butternusskürbis erfüllt die Luft. Vielleicht wird das Abendessen heute doch gar nicht so schlecht.
»Können Sie das machen?«, fragt Finn mich leise.
»Ich?« Ich bin wirklich keine Krankenschwester. »Mit ihr wären Sie besser dran.«
Er sieht zu Mrs O’Hare hinüber, die immer noch mit dem Topf Suppe beschäftigt ist, und dann hebt er sein Hosenbein leicht an – nur so weit, dass ich die Pistole sehen kann, die um sein Schienbein gebunden ist. »Bitte, Cate.«
Oh. Ich nicke und knie mich neben ihn. »Ja, natürlich.«
Mrs O’Hare kichert, als sie mich mit ihren Bandagen hantieren sieht. »Du spielst Krankenschwester? Was ist nur in dich gefahren?«
Ich sehe sie unschuldig an. »Ich sollte lernen, wie es geht, oder nicht? Für den Fall, dass irgendwann jemand Mitleid mit mir hat und mich heiratet?«
»Der Herr stehe ihm bei«, lacht sie. »In Ordnung, aber binde es nicht zu fest, sonst schnürst du ihm die Durchblutung ab.«
Ich schenke Finn ein schalkhaftes Lächeln. »Finden Sie nicht, ein Holzbein wäre beeindruckend? Wie bei einem Piraten? Der erste Offizier auf der Calypso hatte eins, oder?«
»Es würde mir einen gewissen verwegenen Ausdruck verleihen. Haben Sie vielleicht noch eine Augenklappe übrig?«
»Seid vernünftig, ihr zwei. Mit Wundbrand ist nicht zu spaßen«, schimpft Mrs O’Hare.
Ich sehe zu Finn auf, und als ich dem Blick seiner braunen Augen begegne, hält meine Hand in der Bewegung inne. Ich starre ihn an, mein Magen rebelliert. Ich weiß nicht, warum ich auf einmal so schüchtern bin. Es ist ja nicht so, als wenn ich noch nie vorher die nackten Beine eines Jungen gesehen hätte. Als Paul und ich klein waren, hat er immer seine Hosen bis zu den Knien hochgekrempelt gehabt, und ich hatte meine Röcke gerafft, wenn wir im Teich gewatet sind, um kleine Fische zu fangen.
Aber das war Paul, und wir waren Kinder. Irgendwie fühlt sich das hier jetzt komplett anders an.
»Nun mach schon«, drängt mich Mrs O’Hare, und das tue ich. Ich wickle die Bandage um Finns Spann und seine Wade hinauf – die sehr muskulös und mit feinen kupferfarbenen Haaren und noch mehr Sommersprossen bedeckt ist. Ich bin fasziniert von dem Muster, das die Sommersprossen bilden. Ob sie das ganze Bein hinaufreichen?
Ich werde puterrot bei dem Gedanken.
»So, jetzt trinken Sie Ihren Tee und lassen das Bein für eine Weile aufgestützt liegen, und dann wird John Sie zurück in die Stadt fahren. Gut gemacht, Cate«, sagt Mrs O’Hare.
Verwirrt hänge ich meinen Mantel auf. Wenn ich von einem Mann Notiz nehme, dann sollte es doch Paul sein. Aber hast du Herzklopfen, wenn er in deiner Nähe ist?
Mein Herz flattert gerade wie ein Kolibri. Ich ziehe einen Stuhl quer durch das Zimmer und setze mich neben Finn. Er sieht mich mit seinen braunen Augen an, die durch die Brillengläser so groß aussehen wie die einer Eule. »Sie brauchen nicht hier bei mir zu bleiben.«
»Ich habe aber nichts Besseres zu tun.« Ich zucke mit den Schultern. Dann habe ich auf einmal Angst, dass er es lieber hätte, wenn ich ginge. »Es sei denn – Sie möchten, dass ich gehe?«
Er lacht – ein sehr nettes, leises Lachen. Es ist mir noch nie vorher aufgefallen. »Nein.«
»Was, haben Sie etwa kein Buch in der Tasche?«
»Doch, habe ich tatsächlich. Aber ich ziehe es nur in langweiliger Gesellschaft hervor.«
Soll das heißen, er genießt meine Gesellschaft? Ich streiche meinen grünen Rock glatt und bin ausnahmsweise mal froh, dass ich etwas Hübsches trage, meine Knie keine Matschflecken haben und meine Säume nicht zerlumpt sind.
Wir lächeln uns an und sitzen immer noch so da, als auf einmal die
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