Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
beobachten zu müssen. Das ist nicht Finn, ganz und gar nicht.
»Dank sei dem Herrn«, murmelt die Frau mit gesenktem Kopf.
»Wir befreien unseren Geist und öffnen unsere Herzen für den Herrn.«
Der Rest von uns stimmt in den Refrain ein: »Wir befreien unseren Geist und öffnen unsere Herzen für den Herrn.«
»Stehen Sie auf.« Finn sieht sie zornig an. »Und wagen Sie es nicht noch einmal, unsere Entscheidungen anzuzweifeln.«
»Ja, Sir. Bitte. Kommen Sie.« Sie winkt uns herein. »Miss Elliott ist im zweiten Stock, im Trakt für die Einzelunterbringung. Vor ihrer Tür sitzt eine Krankenschwester.«
Finn schreitet bereits mit laut klingenden Stiefeln über die alten Holzdielen den Gang hinab.
Da beugt sich die Aufseherin unter ihren Tisch. »Moment!«, ruft sie, und ich erstarre. Der Schreck fährt mir in die Glieder. Sicher hat sie unser Spiel durchschaut und zieht jetzt ihre Pistole hervor.
Doch sie hält bloß eine Kerze hoch. »Hier, Sir, nehmen Sie die. Oben wird es stockfinster sein. Wie Sie wissen, sind den Patientinnen keine Kerzen gestattet. Es kann dort oben richtig unheimlich sein.«
»Danke.« Ich nehme die Kerze, und die Aufseherin zündet sie an.
Wir eilen die dunklen Treppen hinauf. Als wir auf den Flur mit den Einzelzellen treten, späht die Krankenschwester gerade in Brennas Zelle. Sie wirbelt herum, als sie unsere Schritte hört.
Ihre Gedanken fühlen sich leicht und nachgiebig an. Ich beschwöre sie, nach Anweisung von Mrs Harris in den Trakt mit den Aufsässigen zu gehen und zu vergessen, uns gesehen zu haben. Sie verlässt ihren Posten ohne jeglichen Widerstand. Es ist unglaublich einfach, und ich fühle mich hinterher noch nicht einmal erschöpft.
Meine Magie ist sehr viel stärker geworden, seit ich in New London bin. Vorher hätte mich dieser Zauber noch vollkommen aufgezehrt, und jetzt ist es so gut wie nichts.
Die Zelle, in der das kleine blonde Mädchen war, ist nun leer. Ob sie wohl in den Trakt der Aufsässigen zurückgebracht wurde?
»Seht nach, ob sich noch andere Mädchen auf diesem Flügel befinden. Ich hole Brenna, und dann läuten wir die Alarmglocke«, sage ich. Nachdem Rilla mich von meiner Illusion befreit hat, öffne ich mit einem Zauber Brennas Tür und schlüpfe hinein. Sie liegt zusammengerollt in ihrem Nest aus Decken auf dem Boden und trägt immer noch die gleiche weiße Bluse und den gleichen braunen Rock wie beim letzten Mal. Aber jetzt hat sie ein blaues Auge, und ihre Lippe ist aufgeplatzt und blutig.
»Du bist wieder da«, sagt sie leise und blickt mich mit ihrem guten Auge an.
»Ich habe doch gesagt, dass ich wiederkomme, nicht wahr? Hier bin ich.«
Brenna richtet sich mühsam auf. »Ich hatte heute eine Vorhersehung, aber ich habe sie nicht verraten.« Sie hält die Arme ganz nah am Körper, wie ein verwundeter Vogel.
»Sie haben dich geschlagen.« Ich weiß nicht, warum mich das überrascht. Es ist das Gleiche, was sie mit Thomasina getan haben. Es ist das Gleiche, was sie mit Tess tun würden.
»Sie haben gesagt, ich wäre aufsässig.« Brenna hält mir ihre linke Hand hin, der kleine Finger und der Ringfinger stehen seltsam ab. Mir stockt der Atem.
»Rory ist hier. Sie wird dich gleich runterbringen, und Schwester Sophia kann dich heilen.« Ich halte kurz inne. »Deine Vorhersehung … hatte es irgendetwas mit meinen Schwestern zu tun? Oder mit mir?«
Brenna spielt mit ihrem langen kastanienbraunen Zopf. »Ich habe es dir schon mal erzählt, weißt du noch? Ich weiß es noch. Wir waren auf dem Friedhof.« Sie senkt die Stimme. »Du wirst Opfer bringen müssen.«
»Weil ich Finn verlassen muss?«, frage ich hoffnungsvoll. »Das ist gut ausgegangen.«
»Die schlimmsten Opfer stehen dir noch bevor. Drei Opfer. Und …« Brenna sieht mich schief an, das Kerzenlicht wirft Schatten über ihr geschundenes Gesicht. »Du wirst Tod bringen.«
Wem? Ich blicke auf den Boden.
»Ich hab dir doch gesagt, dass du es lieber nicht hören willst.« Brenna sieht mich traurig an. »Ist es so weit? Wir sollten gehen. Der Krieg steht kurz bevor.«
Ich erstarre, im Begriff die Tür zu öffnen. »Der Krieg?«
»Er wird heute Nacht losbrechen«, sagt Brenna.
Mein Puls rast. Ich denke an Tess, die im Wohnzimmer mit ihren Freundinnen Schach spielt, und an Schwester Gretchen, die Wache bei Cora hält. Was ist, wenn bei der Sitzung des Höchsten Rats alles schiefgeht, Maura gefangen genommen wird und wir alle auffliegen?
Nein. Daran darf ich jetzt nicht
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