Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
gedacht, dass es einen Unterschied machen könnte, ob ich einer Patientin kurze Erleichterung verschaffe oder sie richtig heile, und wie riskant Letzteres ist.
»Guter Gott, daran habe ich überhaupt nicht …«
Schwester Sophia streckt die Hand nach mir aus. »Nein, es ist einfach unglaublich, wozu du fähig bist. Aber da sind noch diejenigen, die daraus ihren Nutzen ziehen wollen. Sie werden herausfinden wollen, wo die Grenzen deiner Macht liegen und wie sie deine Gabe für die Schwesternschaft einsetzen können. Es gibt Grenzen; wir sind keine göttlichen Wesen. Das müssen wir respektieren, oder wir gefährden unsere Gesundheit, sowohl körperlich als auch geistig.«
Ich nicke. »Ich verstehe.«
»Da bin ich mir nicht sicher.« Schwester Sophia seufzt. »Leben und Tod sind zwei Seiten derselben Medaille. Das Leben eines Menschen in ihm flackern zu spüren … das kann verführerisch sein. Es hat Hexen gegeben, die ihre Heilkräfte missbraucht haben. Die sie gegen ihre Feinde eingesetzt haben.«
»Wie haben sie ihre Heilkräfte missbraucht?« Ich bin verwirrt. »Soll das heißen … wir können Leute krank machen? Könnte ich jemandem Kopfschmerzen bereiten, statt sie ihm zu nehmen?« Das hat sie im Unterricht noch nie erwähnt.
Ich dachte, Heilen wäre gut. Rein.
Ich hätte es besser wissen sollen. Magie ist niemals einfach.
Schwester Sophia nickt. »Du kannst niemandem aus dem Nichts Schmerzen bereiten, aber du kannst sie enorm vergrößern. Ich wollte dich nicht erschrecken. Du bist gerade erst dabei, dir der Tragweite deiner Fähigkeiten bewusst zu werden, Cate. Was wir tun können, ist – in den richtigen Händen – eine Gabe. Geistliche und Ärzte bezeichnen ihre Arbeit oft als eine Berufung. Ich glaube, meine Arbeit ist auch eine Berufung. Vom Herrn oder von Persephone oder vielleicht auch von ganz jemand anderem, aber ich bin dankbar dafür.«
»Oh, ich …« Ich breche mitten im Satz ab, als Pearl die Kutschentür öffnet und zusammen mit den anderen einsteigt.
»Ich bin dankbar dafür, vier so wundervolle Schülerinnen zu haben.« Schwester Sophia lächelt uns an. »Die Nebenwirkungen des Heilens halten die meisten Mädchen davon ab, es ernsthaft zu erlernen – ganz zu schweigen von der lächerlichen Vorstellung, dass Biologie und Anatomie undamenhaft seien. Das ist Unsinn.«
Sie ist wieder einmal bei ihrem Lieblingsthema, als die Kutsche ratternd die Auffahrt hinunterfährt. Aber ich höre gar nicht richtig zu. Ich habe früher nie gedacht, dass meine Magie eine Gabe sein könnte, ich hielt sie immer nur für einen Fluch. Und dann dachte ich, dass es sich mit dem Heilen vielleicht auch anders verhalten könnte. Dass Heilen weniger problematisch wäre als Gedankenmagie. Eine Möglichkeit, den Menschen zu helfen und ihnen zu zeigen, dass die Brüder unrecht haben, wenn sie behaupten, alle Magie sei böse. Doch wie bei jeder Art von Macht kommt es wohl auch hierbei auf den Charakter der Person an, die sie ausübt.
Als wir wieder im Kloster ankommen, sind alle in heller Aufregung, weil meine Schwestern eingetroffen sind. Der Nachmittagstee ist gerade vorbei, und die Mädchen sind schon wieder auf dem Weg in die Bibliothek oder poltern die Treppen zu ihren Zimmern hinauf. Alle sind am Tuscheln: Prophezeiung. Maura und Tess. Die Cahill-Schwestern .
Ich laufe zum Wohnzimmer und bleibe an der Türschwelle wie angewurzelt stehen.
Sie sind da.
Ich habe mir den ganzen letzten Monat nichts so sehr gewünscht. Aber jetzt, da sie hier sind, bin ich sonderbar nervös. Ich bin nicht mehr die gleiche Cate, die sie vor einem Monat am Kirchentor verlassen hat. Ob sie sich in meiner Abwesenheit auch verändert haben?
Maura sitzt neben Alice auf dem rosafarbenen Sofa. Sie sieht wunderschön aus in ihrem smaragdfarbenen Kleid, das ihre grünen Augen leuchten lässt wie Gras im Frühling. Die roten Haare trägt sie zu einer Pompadour-Frisur hochgesteckt, die mit edelsteinbesetzten Kämmen fixiert ist, und die Füße stecken in rosafarbenen Samtschuhen mit grünen Borten.
»Ich hatte schon immer eine ziemlich starke Intuition«, sagt sie, wobei sie bescheiden mit den Wimpern flattert. »Ich spüre einfach, was mit den Leuten los ist.«
»Was zum Beispiel?«, fragt Vi gespannt. Sie hat sich auf Alice’ anderer Seite mit aufs Sofa gequetscht, doch ihre voluminösen lavendelfarbenen Röcke haben nicht mehr mit daraufgepasst und plustern sich vor ihr auf. Vi ist ungefähr so dünn wie ich und braucht eine
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