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Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)

Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)

Titel: Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Spotswood
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dich darunter leiden zu lassen. Du wirst noch genug leiden müssen, solltest du die Seherin sein«, sagt sie.
    »Ich hoffe, dass ich es bin. Es wäre mir lieber, als wenn es Maura oder Tess sind.« Ich hole tief Luft. »Erzählst du mir von den anderen Seherinnen? Wie haben die Brüder sie gefunden?«
    Zara lässt sich nicht länger bitten. »Marcela Salazar war gerade erst vierzehn, als sie ihren Vater warnte, dass er ertrinken würde, wenn er in einem See in der Nähe schwimmen ginge. Nachdem er gestorben war, wurde sie der Bruderschaft übergeben. Es ist ein Wunder, dass sie nicht sofort getötet wurde, weil man sie für eine Hexe hielt. Sie haben sie ihr ganzes Leben unter Schloss und Riegel gehalten. 1829 ist sie dann mit fünfundzwanzig Jahren gestorben, als die Typhusepidemie ausbrach.«
    »Was für ein Leben«, bemerke ich.
    »Aber noch längst nicht so schlimm wie das von Thomasina Abbott.« Zara sieht mich ernst an und spielt mit der Kette an ihrem Hals. »Als Thomasina zwölf war, warnte sie ihre Nachbarn vor einem Hausbrand. Die Nachbarn hörten nicht auf sie, und als das Haus tatsächlich niederbrannte, wurde Thomasina der Hexerei bezichtigt und hierhergebracht. Sie weigerte sich, mit den Brüdern zu sprechen, aber sie konnten es ihr ansehen, wenn sie wieder einmal unter dem Bann einer Prophezeiung stand, also haben sie sie gefoltert. Sie haben ihr die Finger abgeschnitten und ihr die Beine so schlimm gebrochen, dass sie nie wieder richtig geheilt sind. Irgendwann fing sie an, Unsinn zu reden, und da die Brüder nicht wussten, ob sie tatsächlich verrückt geworden war oder nur so tat, machten sie alle möglichen schrecklichen Versuche mit ihr. Sie bohrten ihr ein Loch in den Schädel, um den Wahnsinn zu mindern, aber das brachte sie um. Das war vor drei, nein vier Jahren. Dann haben sie ihr Gehirn seziert. Die Krankenschwester sagte, sie fanden keinerlei Abnormität, die den Wahnsinn oder die Vorhersehungen erklärt hätte.«
    Mir dreht sich der Magen um, als ich mir vorstelle, wie meine Leiche für wissenschaftliche Zwecke auseinandergenommen wird. »Werde ich …«, meine Stimme ist nur noch ein Krächzen, »werde ich auch verrückt werden?«
    Zara hört so plötzlich auf, mit dem Stuhl zu schaukeln, dass sie damit gegen die Zementwand hinter sich knallt. »Ich weiß es nicht. Du hast es auf jeden Fall besser, denn du weißt über die Vorhersehungen Bescheid. Sie können ziemlich verstörend sein. Kopfschmerzen und Verwirrung verursachen. Die anderen wollten verhindern, dass schlimme Sachen passieren, und brachten sich dadurch selbst in Gefahr. Die Prophezeiungen erfüllen sich immer.«
    Betroffen schweigend sehen wir einander an. Ich weiß, dass Zara das für die Wahrheit hält, aber ich weigere mich, es zu glauben.
    »Zara?« Die Krankenschwester mit dem Muttermal klopft an die Tür und steckt den Kopf herein. Ich befürchte schon, dass sie unser Gespräch mitgehört hat, aber sie sieht einfach nur erschöpft aus. »Du solltest die Zeit der jungen Schwester nicht mit deinen Geschichten verschwenden. Sie wird unten im Krankenzimmer gebraucht.«
    »Ich habe ihr gerade von dem Minotaurus erzählt«, sagt Zara mit verträumter Stimme. »Von all den verlorenen Jungfrauen im Labyrinth. Sie brauchten einen Krieger, der sie befreite.«
    »Sie wird Ihnen den ganzen Tag diese schändlichen Geschichten erzählen, wenn sie sie nicht bremsen. Sie war früher Gouvernante«, sagt die Krankenschwester und schnalzt missbilligend mit der Zunge. Sie hält ihr Strickzeug in der Hand, und jetzt kann ich erkennen, dass es ein blauer Kinderstrumpf ist. Vielleicht für einen Enkel? »Verabschiede dich, Zara.«
    Zara wirft mir ein breites, unheimliches Lächeln zu. Ihr fehlen mehrere Zähne. »Auf Wiedersehen, Schwester Catherine. Cave quid dicis, quando, et cui .«
    »Genug jetzt. Du sprichst ordentliches Englisch wie wir alle, Zara, oder es gibt kein Abendessen«, schilt die Krankenschwester. Dann fragt sie mich: »Was hat sie gesagt?«
    »Ich habe keine Ahnung«, lüge ich.
    Doch dank Vaters Beharren, dass wir alle Latein lernen, kenne ich den Spruch.
    Pass auf, was du sagst, wann und zu wem.

Kapitel 6
    Der Krankensaal von Harwood ist ein höllischer Ort. Eine erdrückende Hitze schlägt mir entgegen, so als wäre eine Ofentür geöffnet worden. Das Kaminfeuer am anderen Ende des Zimmers brennt lichterloh, der Raum ist klein und stickig. Die schweren Vorhänge sind zugezogen; Kerzen werfen unheimliche Schatten an die

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