Töchter des Schweigens
ich, wie fast alle Frauen unserer Zeit –, das dich verleitet, dich auch in Verhältnisse zu fügen, die du eigentlich nicht willst, um niemanden zu kränken, um nicht Nein sagen zu müssen. Diesbezüglich ist Candela wie ein Mann im traditionellen Sinn: Sie respektiert keine Regel außer ihren eigenen und sieht nicht ein, warum eine Frau zu sein automatisch bedeuten muss, auch lieb und unterwürfig zu sein. Ich auch nicht, ehrlich gesagt, aber nur theoretisch, während Candela sich ja nie ausdrücklich zum Feminismus bekannt hat, sondern diesen einfach lebt, ohne sich darum zu scheren, was man von ihr denken könnte.
In letzter Zeit war sie oft krank und hat stark abgenommen, aber das steht ihr, sie hat einen guten Knochenbau, und wenn sie sich ein paar Tage Urlaub gönnt und den Stress ein bisschen reduziert, ist sie sicher bald wieder fit.
Und zu guter Letzt Marga, das verlorene Schaf, die jetzt als die große Filmregisseurin Rita Montero wieder aufgetaucht ist. Sie ist wohl diejenige, die sich von uns allen am meisten verändert hat. Vielleicht liegt das aber auch nur daran, dass ich sie dreißig Jahre nicht gesehen habe und mir die Veränderungen deshalb mehr auffallen. Früher war auch sie so, wie ich gerade die Frauen unserer Generation beschrieben habe: intelligent, aktiv, klar und ehrlich, aber lieb und gefügig, mit dieser Neigung zur Opferbereitschaft und Anpassung, die man uns von klein auf anerzogen hat. Erinnerst du dich noch an unser letztes Schuljahr, als sie die Seele des Gymnasiums war, nur Einsen schrieb, jede Wahl gewann, zu der sie antrat, und ungeheuer scharfsinnige Artikel für die Schülerzeitung verfasste, sich aber trotzdem von Manolo, ihrem damaligen Verehrer, herumkommandieren ließ, der bei jeder Gelegenheit mit seinen männlichen Vorrechten angab, sprich ›Der Mann ist das Oberhaupt der Familie wie Christus das Oberhaupt der Kirche ist‹ und dieser ganze Schwachsinn, den sie uns seinerzeit einzutrichtern versuchten.
Rita hat sich gut entwickelt. Sie ist noch genauso freundlich, liebevoll und fröhlich, hat sich aber inzwischen die Härte zugelegt, die ihr früher fehlte. Keinen äußerlichen, sichtbaren Stahlpanzer wie Candela, sondern eher so etwas wie eine Eisenfaust im Samthandschuh. Ich kann mir vorstellen, dass man nur auf diese Weise einen Job wie den ihren machen kann, hoch kreativ, Ausdruck ihrer eigenen Innenwelt, während man zugleich einen riesigen Stab von Spezialisten zu koordinieren hat, ebenfalls Kreative, die sich aber dennoch den Wünschen der Regisseurin unterordnen müssen.
Sie ist zurückhaltender, weniger gesprächig, als ich sie in Erinnerung habe, aber nach wie vor die beste Zuhörerin, die ich kenne; sie unterbricht nicht, stellt keine Vergleiche zu eigenen Anekdoten an, zieht keine voreiligen Schlüsse. Sie ist immer noch die ›Hüterin der Geheimnisse‹; weißt du noch, dass wir sie so nannten, weil wir alle gewohnt waren, ihr unsere Kümmernisse zu erzählen? Aber sie beharrt auf ihrer zunehmenden Gedächtnisschwäche und behauptet, alles zu vergessen, was nicht unmittelbar mit dem Drehbuch zu tun hat, an dem sie gerade schreibt. Das fand ich sehr witzig, obwohl ich es aus eigener Erfahrung kenne, weil man sich ja oft nur noch der Tatsache erinnert, dass jemand etwas erzählt hat, das für ihn oder sie immens wichtig oder sogar peinlich war, und man trotzdem nach einiger Zeit wieder vergessen hat, was es eigentlich war, weil es einen nicht direkt betrifft. Nach ihren Filmen zu urteilen, muss es ihr ständig so ergehen. Das Geheimnis ist wirklich schön, nicht wahr? Ein großartiger Film! Bist du nicht auch stolz, dass unsere Marga so etwas geschaffen hat? Ich weiß noch, wie sie in Mallorca mit ihrer ersten Kamera herumlief, die sie zum Geburtstag bekommen hatte, und finde es sehr aufregend, dass sie es so weit gebracht hat und wir live dabei gewesen sind, als ihr die Kamera überreicht wurde, die ihr ganzes Leben prägen sollte. Erinnerst du dich an ihre Geburtstagsparty? Ich glaube, das war einer der schönsten Tage meines Lebens; dieser und einige auf Mallorca. Dann ging es lange nur bergab, bis es mir vor noch nicht allzu langer Zeit gelungen ist zu akzeptieren, dass ich nie wieder etwas von Nick hören werde, dass in jener Nacht in Neu Delhi alles aus dem Lot geraten ist und sich die Vergangenheit nicht mehr geraderücken lässt. Aber ich schweife schon wieder ab.
Ich habe den Eindruck, dass Rita, obwohl das Leben sie nicht schlecht behandelt
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