Töchter des Schweigens
die Lena nicht so nahegestanden hatten, noch pietätloser vorkam als der von Queen am Anfang, sodass alle ruhigen Gewissens den Saal verlassen konnten.
Da keine Familienangehörigen der Verstorbenen da waren, wusste niemand, wem er Beileid aussprechen sollte, und schließlich verabschiedeten sich alle von Teresa, als wäre Lena ihre Schwester gewesen.
Soles Mutter näherte sich ihrer Tochter, zögerlich, weil sie fürchtete, Sole könnte sich in aller Öffentlichkeit von ihr abwenden.
»Ich gehe mit Carmens Mutter. Anas Mann fährt uns nach Hause. Kommst du zum Abendessen?«
»Nein, Mama, warte nicht auf mich. Ich bleibe jetzt bei meinen Freundinnen, und nachher sehen wir weiter. Ich rufe dich später an.«
Sie wusste nicht mehr, wie sie mit ihrer Mutter umgehen sollte. Darüber musste sie sich vor ihrer Rückkehr nach Kuba noch schlüssig werden, wollte jedoch in diesem Moment nicht an das denken, was auf der Hinfahrt im Auto vorgefallen war. Jetzt ging es um Lena und die Mädels. Alles andere konnte warten.
Rita wischte sich die Hände mit einem Papiertaschentuch ab und zündete sich in der Vorhalle eine Zigarette an. Sofort kam ein Angestellter auf sie zu und forderte sie auf, zum Rauchen nach draußen zu gehen, doch im selben Moment trat Anas Mutter zu ihr, um ein paar Worte mit ihr zu wechseln, und Rita betrachtete ihre qualmende Zigarette und wusste nicht, was sie damit machen sollte.
»Komm, gib her, du Tabakjunkie«, sagte Manolo. »Ich werfe die Kippe raus.«
Candelas Augen folgten ihm nachdenklich, während er zur Tür ging. David sprach mit Sole, und diese händigte ihm den Text aus, den sie eben vorgelesen hatte. Chimo plauderte mit Carmen. Jaime küsste alle, ehe er ging.
Die älteren Frauen bewegten ihre Fächer und tuschelten miteinander über die absonderliche Zeremonie. Teresa organisierte Fahrgemeinschaften, weil es unsinnig war, dass jede mit ihrem eigenen Auto fuhr.
»Hört mal einen Augenblick her. In meinem ist das Werkzeug, um die Bäume einzupflanzen. Ich kann noch drei oder vier mitnehmen.«
»Rita und ich fahren mit meinem«, sagte Candela in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, und Teresa begriff sofort. »Ich fahre euch nach. Ich weiß nicht, wie ich nach Caprala komme.«
»Gut. Dann fahren Ana, Carmen und Sole mit mir.«
Als sie mit den Bäumchen im Arm hinauskamen, stand Manolo an der Tür, die Hände in den Taschen und den Blick zum Horizont gerichtet.
»Geht ihr noch irgendwohin? Trinken wir etwas zusammen?«, fragte er hoffnungsvoll und sah Rita an.
Teresa, die Diplomatischste, kam ihr zuvor.
»Nimm es uns nicht übel, Manolo, aber wir haben noch einiges zu tun, und außerdem brauchen wir ein bisschen Zeit für uns, nur wir Mädels. Ich bin sicher, du verstehst das.«
Er nickte, auch wenn er nicht aussah, als verstünde er es.
»Wir können uns ja demnächst mal alle treffen, wenn du willst. Aber wie du siehst, kommen nicht einmal Jaime und David mit. Wir wollen unter uns sein.«
»Na gut, dann ein andermal. Wenn ich irgendetwas tun kann …, sagt mir Bescheid.«
»Danke, Manolo.«
Als sie sich zum Gehen wandten, hielt er Rita noch einmal zurück.
»Marga … ich meine, Rita …, darf ich dich in den nächsten Tagen einmal anrufen? Ich will nicht, dass du denkst, das neulich im cuartelillo … na ja, was soll ich sagen …, wir sind doch Freunde, oder nicht?« Er senkte die Stimme, damit Candela nichts mitbekam. »Wie ich höre, ermittelt die Polizei gegen dich wegen Lena. Wenn du mich brauchst …, in diesem Dorf bin ich wer, weißt du? Ich kenne jeden, man schuldet mir Gefälligkeiten …, wenn du willst, dass ich mit jemandem spreche oder was auch immer … Also, du kannst auf mich zählen.«
Rita nickte.
»Ich danke dir. Aber ich habe nichts zu verbergen.«
»Natürlich nicht. Ich wollte nur … na ja, ich wollte es dir nur gesagt haben. Und du hast noch ein Abendessen gut. Ich rufe dich an.«
Rita gab ihm zwei Wangenküsse, damit er endlich den Mund hielt, und eilte zu Candela, die ungeduldig auf sie wartete.
Manolo sah sie in zwei Autos davonfahren, während die anderen auf dem Parkplatz vor dem Friedhof stehen blieben, und kaute an der Abfuhr, zumal ihm nicht aus dem Kopf gehen wollte, was Lena in ihrem Brief über ihn gesagt hatte. Manchmal wünschte er sich, diesen dämlichen Ziegen nie begegnet zu sein, die ihm das Leben verleideten, seit er achtzehn war. Neunmalkluge, Mannweiber, Feministinnen, Lesben. Und so ging das Land vor lauter
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