Töchter des Schweigens
er sie mit dem Herzen oder mit dem Kopf geben soll, und das lähmt ihn.
»Gefalle ich dir oder nicht? Denn wenn nicht, gibt es nichts weiter zu reden.«
Am Ende gibt er die Antwort weder mit dem Herzen noch mit dem Kopf. Es ist sein Körper, der sich das Machtvakuum zunutze macht und die Initiative ergreift, und unversehens küssen sie sich, diesmal richtig, wie Javier es nur aus Filmen kennt.
In der Diskothek tanzt Marga unter Hunderten von anderen schwitzenden, angetrunkenen Paaren mit Manolo, der sie wie eine Boa umschlingt und, da der Saal weitläufig und kein bekanntes Gesicht in der Nähe ist, mit der einen Hand ihren Busen betastet, während er an ihrem Ohr saugt und sich mit der anderen an ihrem BH -Verschluss zu schaffen macht.
»Hör auf, Manolo«, sagt sie und versucht, sich seinem Würgegriff zu entwinden. »Finger weg. Du bist betrunken, und ich mag das nicht.« Er lässt sich nicht beirren und überhört, was sie sagt. »Verflixt noch mal, du sollst mich loslassen! Ich hab keine Lust!« Mit aller Kraft stößt sie ihn von sich, und er taumelt ein wenig. »Ich gehe auf die Toilette.«
»Langsam habe ich genug von deinen Mätzchen! Komm sofort hierher, oder es ist aus zwischen uns.«
Darauf hat Marga nur gewartet, und bevor Manolo noch ein Wort sagen kann, erwidert sie, laut genug, um die Musik zu überschreien: »In Ordnung. Es ist aus. Wir haben Schluss gemacht, kapiert? Ende. Zieh Leine und such dir eine, die dich erträgt.«
Er verfolgt sie durch den Gang, der zu den Toiletten führt.
»Marga, bitte, lass uns kurz rausgehen, lass uns reden.«
»Es gibt nichts zu reden. Ich habe es satt.«
»Ach, komm schon, in zwei Monaten sind wir in Valencia. Ich verspreche dir, bis dahin zu warten, wenn du willst. Na los, sei doch nicht so …« Wieder umarmt er sie und nähert seinen Mund wie ein Vampir ihrem Hals, wo sie schon zwei ältere Knutschflecken hat.
»Spinnst du oder was? Es ist aus, habe ich gesagt.«
Mit beiden Händen schubst sie ihn weg und verschwindet nach einem schnellen Spurt in der Damentoilette.
Manolo steckt wütend die Hände in die Taschen und blickt um sich. Er ist fest entschlossen, an genau dieser Stelle auf Marga zu warten, und wenn sie die ganze Nacht braucht. So leicht gibt er sich nicht geschlagen. Er wird sich doch von so einer dämlichen Göre nicht vorschreiben lassen, ob er mit ihr geht oder nicht. So weit kommt’s noch!
Unter wippenden Köpfen und schwitzenden Paaren glaubt er, Carmens üppige Lockenmähne zu erkennen. Das ist ein Vollblutweib! Sie knutscht mit einem blonden Kerl, der knapp zwei Meter groß sein dürfte, denn er hängt halb über ihr und ist trotzdem noch zu lang. Sole, hinreißend wie immer, aber mit dieser eisigen Ausstrahlung, die Manolo erbost, unterhält sich am Tresen mit einem Typen, der aussieht wie ein Manager auf Urlaub. Zu ihrer Linken, hinter einer Säule verborgen, streiten sich der Direktor und seine Frau noch immer und bekommen von dem, was sich um sie herum abspielt, nichts mit. Don Javier und Doña Marisa sind wahrscheinlich mit den übrigen Mädchen beim Tanzen.
Da geht Candela an ihm vorbei in Richtung Toilette. Manolo packt sie am Arm und nähert sich ihrem Ohr, um sich verständlich zu machen. Sie weicht zurück, angewidert von seinem Mundgeruch nach Rum und Ducados.
»Deine Freundin Marga ist seit einer Ewigkeit da drin. Sag ihr, wenn sie jetzt gleich rauskommt, verzeihe ich ihr, und alles ist vergessen.«
»Du verzeihst ihr? Du? Was hat sie dir denn getan?« Manolo verabscheut dieses hochnäsige Grinsen, das Candela so gut beherrscht, aber wenn sie ihm helfen soll, wird er sich ein wenig zusammennehmen müssen.
»Sie hat gesagt, sie will mit mir Schluss machen, aber ganz bestimmt meint sie es nicht so. Sie schmollt nur.«
»Marga ist erwachsener als du, Manolito. Sie liebt dich nun mal nicht, kapiert? Sie hat dich nie geliebt.«
»Und woher willst du das wissen?«
»Weil Freundinnen sich solche Dinge erzählen. Also, du weißt Bescheid … Mach dich vom Acker!«
Candela reißt sich heftig los und verschwindet ebenfalls in der Toilette. Schnaubend verlässt Manolo den Flur, schlängelt sich zwischen den Paaren hindurch und hält Ausschau nach jemandem, mit dem er einen Cuba Libre trinken könnte, während er bereits Rachepläne zu schmieden beginnt und, fast ohne es selbst zu merken, vor sich hin murmelt: »Das lasse ich mir nicht bieten, das lasse ich mir nicht bieten.«
Mati sieht ihn vorbeigehen und ahnt, was
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