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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: barcelo
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aus der Hand reißen, du wirst schon sehen. Hier, in diesem Raum hing das Poster von Frankenstein.«
    Nach und nach kehren verschwommen die Erinnerungen zurück. Sie versteht nicht, warum Manolo so strahlt; sie verbindet mit diesem Raum nichts Besonderes, er offenbar schon.
    »Hier haben wir zu den langsamen Stücken getanzt, weißt du noch?«
    Sie schenkt ihm ein schwaches, unverbindliches Lächeln und zündet sich eine Zigarette an, um das Schweigen zu überbrücken.
    »Ich habe immer gedacht, hier würden wir endlich miteinander schlafen«, sagt er mit dunkler, schmeichelnder Stimme, die Rita jedoch nur kalte Schauder über den Rücken jagt. »Jedenfalls ist es so was wie unser noch ausstehendes Abiturfach, meinst du nicht?«
    Rita lacht, obwohl sie es nicht lustig findet.
    »Nein, Manolo, zwischen dir und mir steht nichts mehr aus.«
    »Wir waren einmal ein Paar«, sagt er, legt ihr eine Hand in den Nacken und streichelt ihr Ohrläppchen.
    »Wir sind eine Zeit lang miteinander ausgegangen«, präzisiert sie und entzieht sich ihm. »Und das ist dreiunddreißig Jahre her, um genau zu sein.«
    »Mir gefällst du immer noch, obwohl so viel dummes Zeug über dich erzählt wird.«
    »Was denn für dummes Zeug?« Sie will es gar nicht wissen, aber sie will ihn ablenken, indem sie ihn zum Reden bringt.
    »Dass du auf Frauen stehst, du weißt schon.«
    »Das ist wahr, Manolo. Ich bin lesbisch.«
    »Ach, hör doch auf! Das liegt nur daran, dass du nie einen Mann gefunden hast, der es wert gewesen wäre. Einen echten Mann.«
    Rita fängt an zu lachen, denn merkwürdigerweise hat Manolo recht. Sie ist nie einem Mann begegnet, der sie körperlich angezogen hätte, doch ist damit, genau genommen, das Gegenteil bewiesen. Sie war mehrmals kurz verliebt gewesen, immer in eine Frau.
    Er nähert sich ihr wieder.
    »Zu Ehren der alten Zeiten«, murmelt er und versucht, sie an sich zu ziehen.
    »Manolo, sei so gut, und mach dich nicht lächerlich, wir sind erwachsene Menschen.« Noch fürchtet sie sich nicht, aber sie will so schnell wie möglich dieses Haus verlassen. »Gehen wir ein Bier trinken.«
    »Du hast recht, Marga, wir sind erwachsene Leute.« Sie seufzt erleichtert auf. »Ich schlage dir einen Deal vor. Du gibst mir, was ich will, und du bekommst das Landhaus deiner Familie zu einem Freundschaftspreis zurück, einverstanden?«
    Rita erstarrt zur Salzsäule. In dem fast völlig dunklen Raum sieht sie ihm direkt in die Augen, und er deutet ihren Blick falsch.
    »Na ja, ich werde es dir nicht einfach schenken, aber ich gebe es dir günstig, versprochen.«
    »Du hast es gekauft?«
    »Ich wollte dieses Stückchen Land zu gern haben, deshalb habe ich mit der Parzelle auch noch nichts unternommen. Alles ist genau wie am Tag deiner Geburtstagsparty. Ich bin halt sentimental, auch wenn ich nicht so aussehe. Was sagst du?«
    Rita wendet sich ab und verlässt das alte cuartelillo , ohne sich umzusehen, mit Tränen in den Augen und dem unbändigen Wunsch, ihm die Nase einzuschlagen. Fast auf der Höhe der Plaza Mayor holt Manolo sie ein und schleift sie unter Entschuldigungen bis zur Theke einer Tapas-Bar. Die Leute dort sehen sie an, viele erkennen Rita und prosten ihr lächelnd zu.
    »Na, Manolo?«, sagt ein etwa gleichaltriger Mann, der mit seiner Frau an einem Tisch neben dem Tresen sitzt und Schnecken isst. »Versuchst du schon, unserem Weltstar was zu verkaufen?«
    Allgemeines Gelächter ertönt, sie lacht mit, und später steht sie irgendwann allein vor ihrer Haustür und spürt die angesammelte Galle im Magen. Sie übergibt sich, schluckt eine Schlaftablette, legt sich ins Bett, ohne den Wecker zu stellen, und hofft einmal mehr, die Nacht möge ihr Vergessen bringen.
    »Noch einen Kaffee mit Eis?« Wie aus dem Boden gewachsen stand der Kellner neben ihrem Tisch, und Rita fiel wieder ein, dass Freitag war, dass sie soeben vom Polizeirevier kam und Lena seit zwei Tagen tot war.
    »Ja, bitte«, antwortete sie, damit er wegging, damit er etwas zu tun hatte.
    Sie nahm ein Heft aus ihrer Schultertasche und begann, darin zu blättern, um den Eindruck zu erwecken, als konzentrierte sie sich. Sie wollte allein sein, aber der Gedanke an die leere Wohnung, ohne Ingrid, ohne die Kinder, war ihr unerträglich.
    »Möchten Sie etwas essen?«
    »Nein, danke, der Kaffee reicht.«
    Das Bild der ausgebluteten Lena in der Badewanne geht ihr nicht aus dem Sinn, das wie eine Seeanemone um den Kopf schwebende Haar, die Abendsonne, die alles in

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