Töchter des Windes: Roman (German Edition)
festzustellen, daß ihre Eltern beschlossen hatten, die Kirche und die Tradition zu ignorieren und endlich
getrennter Wege zu gehen. Aber noch öfter, allzu oft, hatte sie gebetet, daß ein Wunder geschähe. Das Wunder, daß ihre Eltern einander wiederentdecken würden und daß der Funke der leidenschaftlichen Liebe neu entzündet würde, der so viele Jahre zuvor das Bindeglied zwischen den beiden gewesen war.
Inzwischen verstand sie allerdings zumindest teilweise, weshalb dieses Wunder nicht eingetreten war. Amanda. Der Grund für die dauerhafte Entfremdung hatte einen Namen gehabt. Amanda Dougherty.
Hatte ihre Mutter es gewußt? Hatte sie gewußt, daß der Ehemann, den sie nach einer Weile verachtet hatte, eine andere geliebt hatte als sie? Wußte sie, daß ein inzwischen erwachsenes Kind das Ergebnis dieser verwegenen, verbotenen Liebe war?
Diese Frage könnte sie niemals stellen, dachte sie. Die furchtbare Szene, die das Ergebnis dieser Frage wäre, ertrüge sie einfach nicht.
Schließlich hatte sie bereits den Großteil des Tages in Furcht vor dem Gespräch mit ihrer Schwester verbracht. Sie kannte Maggie genau, und sie wußte, ihre Reaktion auf diese schmerzliche Desillusionierung wäre Verletztheit und Zorn.
Sie hatte das Gespräch so lange wie möglich hinausgezögert. Sie war feige, und sie schämte sich dafür, aber dann sagte sie sich, daß sie einfach Zeit gebraucht hatte, um sich selbst über ihre Gefühle klar zu werden, ehe sie in der Lage wäre, Maggie eine Stütze zu sein.
Um sich ein wenig abzulenken, half sie Gray beim Auspacken und beantwortete seine zahllosen Fragen über die umliegenden Dörfer und die Dinge, die es in der näheren Umgebung zu sehen gab. Als sie schließlich auf Ennis zu sprechen kamen, brachte sie kaum noch einen Ton heraus. Seine geistige Energie schien unerschöpflich zu sein. Sie erinnerte sie an einen Schlangenmenschen, den sie einmal auf einem Jahrmarkt
gesehen hatte. Er hatte sich auf eine Weise verrenkt, die ihr unmöglich erschienen war, nur um wieder aufzuspringen und sofort in eine neue, noch verrenktere Position zu gehen.
Um sich zu entspannen, schrubbte sie gründlich den Küchenboden.
Es war kaum zwei, als Con fröhlich zu bellen begann. Der Tee zog, ihr Apfelkuchen war glasiert, und die kleinen Sandwiches, die sie gemacht hatte, waren als ordentliche Dreiecke auf einer Platte drapiert. Brianna rang die Hände, doch dann öffnete sie ihrer Schwester und ihrem Schwager die Küchentür.
»Seid ihr etwa zu Fuß gekommen?«
»Sweeney behauptet, ich bräuchte Bewegung.« Maggies Wangen wiesen eine frische Röte auf, und während sie schnupperte, sah sie ihre Schwester mit blitzenden Augen an. »Nach dem Tee brauche ich sie bestimmt.«
»Sie ist ein richtiger Gierschlund geworden.« Rogan hängte seinen und Maggies Mantel auf einen Haken neben der Tür. Obgleich er eine alte Hose und robuste Halbschuhe trug, war ihm das, was seine Frau als das Dublinsche an ihm bezeichnete, deutlich anzusehen. Ob er eine schwarze Krawatte oder Lumpen trug, er war doch immer von einer auffälligen, dunklen Eleganz. »Was für ein Glück, daß du uns zum Tee eingeladen hast, Brianna. Sie hat unsere gesamte Speisekammer leergeräumt.«
»Nun, zu essen gibt’s hier genug. Setzt euch schon mal an den Kamin, dann bringe ich die Sachen rein.«
»Wir sind doch keine Gäste«, protestierte Maggie. »Die Küche reicht vollkommen aus.«
»Ich stehe den ganzen Tag in der Küche herum.« Was eine lahme Ausrede war, denn in keinem Raum fühlte sie sich wohler als dort. Aber sie wollte, brauchte die Förmlichkeit des Wohnzimmers für das unvermeidliche Gespräch. »Außerdem habe ich den Kamin schon angemacht.«
»Ich nehme das Tablett«, bot Rogan an.
Sie hatten sich kaum gesetzt, als Maggie bereits nach einem Stück Kuchen griff.
»Nimm lieber ein Sandwich«, wies Rogan sie an.
»Er behandelt mich wie ein kleines Kind und nicht wie eine Frau, die ein Kind unter dem Herzen trägt.« Aber trotzdem nahm sie zuerst ein Brot. »Ich habe Rogan von deinem attraktiven Ami erzählt. Langes, goldblondes Haar, kräftig, muskulös, große, braune Augen. Kommt er etwa nicht zum Tee?«
»Für den normalen Nachmittagstee ist es wohl noch ein bißchen früh«, stellte Rogan fest und wandte sich Brianna zu. »Ich habe seine Bücher gelesen. Er schafft es auf eine äußerst clevere Art, den Leser auf die Folter zu spannen.«
»Ich weiß.« Sie lächelte. »Letzte Nacht habe ich in einem seiner
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