Töchter des Windes: Roman (German Edition)
damit sich ihr Herzschlag beschleunigte. Trotzdem zog sie entschlossen das Blatt Papier daraus hervor.
Brianna hörte, wie Maggie nach Luft rang, und sah, daß sie
hilfesuchend Rogans Hand ergriff. Wie sehr sie sich verändert hatte, dachte Brianna. Noch vor einem Jahr hätte Maggie jede tröstende Hand zur Seite geschoben, und nun suchte sie sie sogar.
»Amanda.« Maggies Stimme verriet, wie nahe sie den Tränen war. »Den Namen hatte er auf den Lippen, als er starb. An seinem Lieblingsplatz über den Klippen bei Loop Head. Immer wenn wir dort hingefahren sind, hat er seinen Scherz gemacht, daß wir ein Schiff nach New York nehmen würden, um dort in einem Pub ein Bier zu trinken.« Jetzt liefen ihr die Tränen die Wangen hinab. »In New York. Und in New York war Amanda.«
»Er hat ihren Namen gesagt.« Brianna hielt sich die Hand vor den Mund, und beinahe hätte sie wie in ihrer Kindheit an den Nägeln gekaut. »Jetzt erinnere ich mich wieder. Du hast so etwas bereits auf seiner Totenwache erwähnt. Hat er sonst noch was gesagt, hat er dir irgendwas von ihr erzählt?«
»Nein, nur ihren Namen.« Zornig wischte sich Maggie die Tränen aus dem Gesicht. »Er hat nichts erzählt, kein Wort. Er hat sie geliebt, aber er hat nichts getan, um mit ihr zusammen zu sein.«
»Was hätte er denn tun können?« fragte Brianna. »Maggie. . .«
»Irgendwas.« Abermals brach Maggie in Tränen aus, und abermals wischte sie sie zornig fort. »Irgendwas. Gütiger Jesus, er hat sein Leben in der Hölle verbracht. Warum? Weil die Kirche sagt, daß alles andere eine Sünde ist? Dabei hatte er doch sowieso gesündigt, oder? Er hatte Ehebruch begangen. Werfe ich ihm das etwa vor? Nein, das kann ich nicht, wenn ich daran denke, wie elend es hier zu Hause war. Aber bei Gott, hätte er nicht einfach seinem Herzen folgen können? Warum hat er nie den Mut dazu gehabt?«
»Er ist unseretwegen geblieben.« Briannas Stimme klang beherrscht. »Du weißt, daß er unseretwegen geblieben ist.«
»Soll ich ihm deshalb vielleicht dankbar sein?«
»Willst du ihm etwa Vorwürfe machen, weil er dich geliebt hat?« fragte Rogan mit ruhiger Stimme. »Oder ihn verurteilen, weil es außer für dich auch noch für einen anderen Menschen Platz in seinem Herzen gab?«
Maggies Augen blitzten zornig auf, aber ihre Bitterkeit wich einer ungeahnten Traurigkeit. »Nein, das will ich nicht. Aber es ist nicht richtig, daß es außer der Erinnerung nichts mehr für ihn gegeben haben soll.«
»Lies die anderen Briefe, Maggie.«
»Das werde ich. Du warst kaum geboren, als diese Briefe geschrieben wurden«, sagte sie, während sie den zweiten Umschlag öffnete.
»Ich weiß.«
»Offenbar hat sie ihn sehr geliebt. Ihre Briefe zeugen von einer großen Zärtlichkeit. Und es ist ja wohl nicht zuviel verlangt, wenn sich ein Mann nach etwas Zärtlichkeit und Liebe sehnt.« In Erwartung irgendeiner Reaktion sah Maggie Brianna an, doch außer der für ihre jüngere Schwester typischen Distanziertheit sah sie nichts. Während Brianna ihr gefaßt und kühl gegenübersaß, öffnete sie seufzend den dritten Brief. »Ich wünschte nur, er ...« Ihre Stimme brach. »Oh, mein Gott. Ein Baby.« Instinktiv legte sie die Hand auf den Bauch. »Sie war schwanger.«
»Irgendwo lebt ein Bruder oder eine Schwester von uns. Ich weiß einfach nicht, was wir machen sollen.«
Vor Schock und Entsetzen sprang Maggie so eilig von ihrem Stuhl, daß das Teegeschirr zu klappern begann. »Was wir machen sollen? All das ist doch vor einer Ewigkeit passiert, oder? Vor achtundzwanzig Jahren, um genau zu sein.«
Brianna wollte zu ihrer Schwester gehen, aber Rogan hielt sie sanft zurück. »Laß sie«, murmelte er. »Wenn sie sich erst mal ausgetobt hat, wird es ihr hinterher besser gehen.«
»Welches Recht hatte sie, ihm zu erzählen, daß sie ein Kind
von ihm erwartet, nur, um hinterher einfach fortzugehen?« fragte Maggie. »Welches Recht hatte er, zuzulassen, daß sie einfach ging? Und jetzt meinst du, daß wir dafür zuständig sind? Es ist kein armes, verlassenes, vaterloses Kind, um das es hier geht, Brianna, sondern ein erwachsener Mensch. Was hat dieser Mensch mit uns zu tun?«
»Er hat denselben Vater wie wir, Maggie. Er ist mit uns verwandt.«
»Oh, ja, mit der Concannon-Sippe. Gott steh uns bei.« Von ihrem Elend überwältigt, lehnte sie sich an den Kaminsims und starrte blind in die Flammen. »War er denn wirklich so schwach?«
»Wir wissen nicht, was er getan hat oder was er
Weitere Kostenlose Bücher