Töchter des Windes: Roman (German Edition)
hätte tun können. Vielleicht erfahren wir es nie.« Brianna atmete vorsichtig ein. »Wenn Mutter es gewußt hätte ...«
Maggie stieß ein kurzes, verbittertes Lachen aus. »Sie wußte es nicht. Meinst du etwa, sie hätte eine solche Waffe nicht benutzt, um ihn fertigzumachen? Schließlich hat sie, weiß Gott, ja auch jede andere seiner Schwächen schamlos ausgenutzt.«
»Dann besteht ja wohl auch keine Veranlassung, es ihr jetzt zu sagen, oder?«
Langsam wandte sich Maggie ihrer Schwester zu. »Du willst es ihr verschweigen?«
»Allerdings. Welchen Sinn macht es, ihr jetzt noch weh zu tun?«
Maggie kniff die Lippen zusammen, so daß ihr Mund nur noch als dünner Strich zu sehen war. »Meinst du, es täte ihr tatsächlich weh?«
»Bist du so sicher, daß es das nicht tun würde?«
Maggies Zorn legte sich ebenso schnell, wie er aufgeflackert war. »Ich weiß es nicht. Woher soll ich es wissen? Ich habe das Gefühl, als wären die beiden vollkommen Fremde für mich.«
»Er hat dich geliebt, Maggie.« Rogan stand auf und trat neben sie. »Das weißt du ganz genau.«
»Ja.« Sie lehnte sich an seine Brust. »Aber was ich für ihn empfinde, das weiß ich nicht mehr.«
»Ich denke, wir sollten versuchen, diese Amanda Dougherty ausfindig zu machen«, setzte Brianna an, »und ...«
»Ich kann einfach nicht denken.« Maggie machte die Augen zu. In ihrem Inneren herrschte ein solches Wirrwarr der Gefühle, daß sie nicht mehr wußte, was falsch und was richtig war. »Ich muß darüber nachdenken, Brie. Die Sache hat so lange geruht, da kommt es auf ein paar Tage mehr oder weniger auch nicht an.«
»Es tut mir leid, Maggie.«
»Belaste dich nicht auch noch mit dieser Angelegenheit.« Etwas von der alten Bissigkeit kehrte in Maggies Stimme zurück. »Du hast dir mit Mutter schon genug aufgehalst. Gib mir ein paar Tage Zeit, Brie, dann beschließen wir gemeinsam, was in dieser Sache getan werden soll.«
»In Ordnung.«
»Ich würde die Briefe gern mitnehmen, wenn es geht.«
»Natürlich.«
Maggie trat vor ihre Schwester und strich ihr sanft über das Gesicht. »Er hat dich auch geliebt, Brie.«
»Auf seine Art.«
»Auf jede Art. Du warst sein Engel, seine kühlte Rose. Keine Angst. Wir finden einen Weg, das zu tun, was das beste ist.«
Es machte Gray nichts aus, daß der bleierne Regen seine Schleusen erneut zu öffnen begann. Er stand auf der Brustwehr einer Burgruine, von der aus man auf einen träge dahinfließenden Fluß hinuntersah. In den Spalten zwischen den Steinen pfiff und stöhnte der Wind. Er hatte das Gefühl, als wäre er allein, nicht nur an diesem Ort, sondern in diesem Land, auf der Welt.
Es war, dachte er, der perfekte Ort für einen Mord.
Das Opfer würde hierhergelockt, würde alte, gewundene Steintreppen hinaufgejagt, würde hilflos immer weiter fliehen, und ganz oben würde die letzte Hoffnung zunichte gemacht. Es gäbe keine Rettung mehr.
Hier, wo altes Blut vergossen worden war, wo es so tief in die Steine und die Erde eingedrungen war, käme es abermals zu einem Mord. Nicht für Gott, nicht für das Vaterland, sondern aus Lust.
Gray kannte seinen Schurken bereits, sah ihn bereits vor sich, wie er die blitzende Klinge seines Messers in sein Opfer stach. Er kannte auch das Opfer, sein Entsetzen, seinen Schmerz. Der Held und die Frau, die er liebte, standen so deutlich vor ihm wie der langsam strömende Fluß, der am Fuße der Burgruine dahinfloß.
Und er wußte, bald würde es Zeit, daß er sie auch mit Worten erstehen ließ. Es gab nichts, was ihm am Schreiben besser gefiel, als seinen Menschen Leben einzuhauchen, Atem, Fleisch und Blut. Ihre Hintergründe zu entdecken, ihre verborgenen Ängste, jede Drehung und Wendung ihrer Vergangenheit.
Was vielleicht daran lag, daß er selbst keine Vergangenheit besaß. Schicht für Schicht hatte er sich selbst geschaffen, ebenso geschickt und akribisch genau, wie er die Charaktere in seinen Büchern schuf. Grayson Thane war der, der er beschlossen hatte zu sein, und sein Talent zum Geschichtenerzählen hatte ihm die Möglichkeit gegeben, auf stilvolle Weise der Mensch zu werden, als der er sich gefiel.
Er hätte sich nie als bescheiden bezeichnet, aber gleichzeitig hielt er sich für nichts weiter als einen fähigen Schriftsteller, als einen Menschen, dessen Talent im Geschichtenerfinden lag. Er schrieb in erster Linie, weil es ihm Vergnügen bereitete, und betrachtete es als glücklichen Zufall, daß er mit seinem Stil bei vielen
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