Töchter des Windes: Roman (German Edition)
furchterregend. Der erste Mord, der in der Ruine. Als ich
an die Stelle kam, dachte ich, mein Herz bleibt stehen. Wie blutrünstig, einfach toll.«
»Sprich nur weiter.« Er fuhr ihr mit der Hand durchs Haar und warf sich auf sein Bett.
»Nun.« Sie faltete ihre Hände und legte sie auf den Rand des Schreibtischs, während sie überlegte, was es sonst noch zu sagen gab. »Auch dein Humor kommt immer wieder durch. Und dein Blick, man hat das Gefühl, daß ihm nichts verborgen bleibt. Die Szene im Pub habe ich genau so unzählige Male selbst erlebt. Ich sah Tim O’Malley hinter der Theke stehen und Murphy, der in einer Ecke sitzt und musiziert. Es wird ihm gefallen, daß du ihn als einen so gutaussehenden Kerl beschrieben hast.«
»Du denkst also, daß er sich wiedererkennt?«
»Allerdings. Nur weiß ich nicht, wie er es finden wird, einer der Verdächtigen oder vielleicht sogar der Mörder zu sein.« Sie bedachte Gray mit einem hoffnungsvollen Blick, doch der schüttelte lediglich den Kopf.
»Du bildest dir doch wohl nicht ernsthaft ein, daß ich dir erzählen werde, wer der Mörder ist.«
»Wenn ich ehrlich bin, nein.« Seufzend stützte sie ihr Kinn auf eine Faust. »Was Murphy betrifft, so findet er bestimmt Gefallen daran, eine der Figuren in deinem neuen Buch zu sein. Und man merkt dir an, wie sehr dir das Dorf, die Umgebung und die Menschen hier ans Herz gewachsen sind. Man erkennt es an den kleinen Dingen — an der Familie, die im Sonntagsstaat von der Kirche nach Hause wandert, an dem alten Mann, der mit seinem Hund durch den Regen läuft, an dem kleinen Mädchen, das mit seinem Opa im Pub zu einem fröhlichen Liedchen tanzt.«
»Es ist leicht, solche Dinge zu schreiben, wenn man sie immer und überall zu sehen bekommt.«
»Es ist mehr als das, was du mit dem bloßen Auge siehst.« Sie hob ihre Hände und ließ sie wieder sinken. Sie verfügte
nicht wie er über die Worte, um das zu sagen, was sie tatsächlich empfand. »Du siehst das Herz der Dinge. Und genau diese dadurch erreichte Tiefe der Empfindungen, die du beim Leser weckst, ist es, die dieses Buch anders als die anderen macht. Die Art, in der McGee mit sich ringt, weil er nicht weiß, was er machen soll. Die Art, wie er sich wünscht, er könnte tatenlos dasitzen, obgleich er weiß, daß er handeln muß. Und Tullia, die Art, in der sie ihre Trauer erträgt und sich darum bemüht, ihrem Leben trotz allem einen neuen Sinn zu geben. Ach, ich kann es nicht erklären.«
»Ich finde, du erklärst es ziemlich gut«, murmelte Gray.
»Es rührt mich an. Ich kann kaum glauben, daß du es hier geschrieben hast, in meinem Haus.«
»Ich glaube, woanders hätte ich es nicht so schreiben können.« Er stand auf und kehrte zu ihrer Enttäuschung zur Titelseite des Buches zurück. Sie hatte gehofft, er ließe sie weiterlesen.
»Oh, du hast den Titel geändert«, sagte sie, als sie die erste Seite sah. »Wettlauf mit dem Schicksal «. Das gefällt mir. Das genau ist das Thema, nicht wahr? Die Morde, das, was vorher mit McGee und Tullia geschehen ist und was sich verändert, nachdem sie einander begegnen, nicht wahr?«
»Das ist das, was sich ergeben hat.« Wieder drückte er auf eine Taste, so daß eine Seite mit einer Widmung zu sehen war. Seit er Bücher schrieb, war dies erst das zweite Mal, daß er überhaupt jemandem eine Widmung schrieb. Das erste und bisher einzige Mal hatte er sich mit einer Widmung bei Arlene für ihre rückhaltlose Freundschaft bedankt.
Für Brianna, als Dank für ein unbezahlbares Geschenk.
»Oh, Grayson.« Vor lauter Rührung brachte sie kaum einen Ton heraus. »Ich fühle mich geehrt. Und jetzt heule ich schon wieder los«, murmelte sie und vergrub ihr Gesicht an seinem Arm. »Vielen, vielen Dank.«
»Dieses Buch enthält viel von mir, Brie.« Er hob ihr Gesicht und hoffte, daß sie ihn verstand. »Es ist etwas, das ich dir geben kann.«
»Ich weiß. Ich werde es hüten wie einen Schatz.« Aus Angst, erneut in Tränen auszubrechen, fuhr sie sich abrupt mit den Händen durchs Haar. »Aber sicher willst du jetzt weiterarbeiten. Und ich habe ebenfalls jede Menge zu tun.« Sie griff nach der Bettwäsche, die immer noch neben ihr lag, und wußte, sobald sie in ihrem Zimmer wäre, ließe sie ihren Tränen freien Lauf. »Soll ich dir deinen Tee heraufbringen, wenn er fertig ist?«
Er legte den Kopf auf die Seite und sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. Hatte sie sich selbst wohl in Tullia erkannt? Die Heldin seines Buches
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