Töchter des Windes: Roman (German Edition)
sehr ähnlich war.
Gray bückte sich und hob einen neuen Stein für Murphy auf, während er mit dem Jungen über die Vorzüge der Countrymusik plauderte. Es dauerte nicht lange, da half er beim Anrühren des Mörtels und gab zufriedene männliche Kommentare über die Arbeit mit seinen Freunden ab.
»Für einen Schreiberling bist du ziemlich geschickt«, stellte Murphy fest.
»Ich habe mal einen Sommer lang auf dem Bau gearbeitet. Mörtel angerührt und in Schubkarren durch die Gegend gefahren, während mir die Sonne das Hirn wegzubrennen schien.«
»Heute ist das Wetter durchaus angenehm.« Zufrieden mit den Fortschritten, zündete sich Murphy eine Zigarette an. »Wenn es so bleibt, haben wir das Ding vielleicht in einer Woche stehen.«
In einer Woche, dachte Gray, wäre er schon fast nicht mehr
da. »Nett von dir, deine eigene Arbeit liegen zu lassen, um ihr hier behilflich zu sein.«
»Das ist das, was unsereiner comhair nennt«, sagte Murphy leichthin. »Gemeinschaft. So leben wir nun mal. Niemand ist auf sich allein angewiesen, denn wozu sind die Familie und die Nachbarn schließlich da? Wenn der Rahmen aufgestellt und das Glas eingesetzt werden muß, werden mindestens drei Männer zur Stelle sein. Und falls beim Bau der Arbeitsbänke und so Hilfe erforderlich ist, kommen bestimmt noch mehr. Am Ende wird jeder das Gefühl haben, am Bau des Gewächshauses beteiligt gewesen zu sein. Und hinterher teilt Brianna Ableger und Pflanzen für sämtliche Gärten aus.« Er blies eine Rauchwolke in die Luft. »Weißt du, so profitiert am Ende jeder von diesem System. Das ist comhair .«
Gray verstand das Konzept. Es entsprach dem, was er während Liams Taufe in der Dorfkirche empfunden hatte und was ihm einen Augenblick lang durchaus begehrenswert erschienen war. »Empfindest du es nie als . . . Zwang, daß du, indem du die Hilfe anderer akzeptierst, ebenfalls zu Hilfsdiensten verpflichtet bist?«
»So eine Frage kann wohl nur ein Ami stellen.« Grinsend nahm Murphy einen letzten Zug, ehe er seine Zigarette auf den Steinen ausdrückte und, da er Brianna kannte, den Stummel, statt ihn achtlos fortzuwerfen, in die Tasche schob. »Ihr betrachtet immer alles unter dem geschäftlichen Aspekt. Verpflichtet ist das falsche Wort. Falls du eine Bezeichnung brauchst, dann wäre Sicherheit wohl passender. Zu wissen, daß du nur eine Hand auszustrecken brauchst, damit dir jemand, falls es erforderlich ist, zu Hilfe kommt. Zu wissen, daß du das gleiche tätest, wäre ein Freund in Not.«
Er wandte sich an seinen Neffen. »Also, Tim, am besten machen wir jetzt das Werkzeug sauber. Wir müssen langsam zurück. Du sagst Brianna, daß sie die Steine nicht anrühren soll, ja, Grayson? Der Mörtel ist noch nicht trocken.«
»Aber sicher, ich — Himmel, ich habe gar nicht mehr an sie gedacht. Bis später.« Und schon eilte er ins Haus zurück. Ein Blick auf die Küchenuhr genügte, daß er zusammenfuhr. Seit über einer Stunde saß sie allein über seinem neuen Manuskript.
Wie er beim Betreten seines Zimmers bemerkte, hatte sie sich nicht von der Stelle gerührt.
»Du brauchst aber ganz schön lange für ein halbes Kapitel«, sagte er.
Auch wenn sein plötzliches Auftauchen sie überraschte, fuhr sie dieses Mal nicht zusammen, sondern hob langsam den Kopf und sah ihn mit tränennassen Augen an.
»So schlimm?« Er lächelte zaghaft und merkte überrascht, wie nervös er war.
»Es ist wunderbar.« Sie griff in ihre Schürze und zog ein Taschentuch hervor. »Wirklich. Diese Stelle, an der Tullia allein in ihrem Garten sitzt und an ihr Kind denkt. Man empfindet ihren Schmerz unweigerlich nach. Man hat das Gefühl, als wäre sie ein wirklicher Mensch aus Fleisch und Blut.«
Das zweite überraschende Gefühl, das er empfand, war Verlegenheit. Ein solches Lob hatte ihm bisher noch kaum ein Mensch gezollt. »Nun, so soll es auch sein.«
»Du hast die wunderbare Gabe, mit schlichten Worten Gefühle in den Menschen zu wecken, Gray. Ich habe ein bißchen weitergelesen. Tut mir leid. Ich war einfach vollkommen gefangen in der Geschichte und mußte unbedingt wissen, wie es weitergeht.«
»Ich fühle mich geschmeichelt.« Ein Blick auf den Bildschirm verriet ihm, daß sie über hundert Seiten gelesen hatte. »Es freut mich, wenn es dir gefällt.«
»Und wie. Es ist . . .« — sie wußte nicht, wie sie es ausdrücken sollte — »anders als deine anderen Bücher. Oh, es ist spannend wie die anderen und ebenso reich an Details. Und
Weitere Kostenlose Bücher