Töchter des Windes: Roman (German Edition)
erzitterte.
Na Klasse, Junge, dachte er angewidert und stapfte erbost durch den Raum. Gut gemacht. Es gibt einem doch immer wieder ein tolles Gefühl, einen Menschen zu treten, der bereits am Boden liegt.
Aber verdammt, verdammt, sie hatte tatsächlich ein Gefühl der Eifersucht in ihm geweckt. Als wäre er gerade der passende Ersatz für den Geliebten, der ihr verlorengegangen war. Er empfand ihr Elend nach, verstand, wie es war, wenn man derart betrogen, derart verstoßen worden war. Es gab nichts, was er besser verstand. Aber er hatte diese Erfahrung gemacht oder etwa nicht? Also käme auch sie früher oder später darüber hinweg.
Sie wollte berührt werden, hatte sie gesagt, doch im Grunde hatte sie nur Trost gebraucht. Mit klopfendem Herzen stapfte er zum Fenster und zurück. Sie wollte ihn, hatte sie gesagt, doch im Grunde hatte sie nur ein wenig Mitgefühl, ein wenig Verständnis gebraucht. Ein wenig Sex. Und er hatte sie einfach fortgeschickt.
Genau wie Rory, der Held.
Was sollte er tun? Wie hätte er mit ihr schlafen können, während ihr all ihr Schmerz, all ihre Angst, all ihre Verwirrung so deutlich anzusehen war? Er brauchte die Probleme anderer Leute nicht.
Er wollte sie nicht.
Aber er wollte die Frau.
Fluchend lehnte er den Kopf gegen das Fenster. Er könnte einfach gehen. Damit hatte er noch nie Probleme gehabt. Oder er könnte sich wieder an seinen Schreibtisch setzen, die Fäden seiner Geschichte zusammensuchen und in seine Phantasiewelt flüchten.
Oder . . . er könnte etwas versuchen, das vielleicht ihnen beiden die Niedergeschlagenheit nahm.
Der zweite Gedanke war wesentlich verführerischer, auch wenn er ihm gleichzeitig als wesentlich gefährlicher erschien. Doch der sichere Weg war etwas für Feiglinge, sagte er sich, nahm seine Schlüssel, ging die Treppe hinunter und verließ entschlossenen Schrittes das Haus.
12. Kapitel
W enn es eine Sache gab, die Gray stilvoll zu gestalten verstand, dann den Hintergrund für eine Szene seiner Wahl. Zwei Stunden, nachdem er Blackthorn Cottage verlassen hatte, war er wieder in seinem Zimmer und kümmerte sich um die letzten Details. Über den ersten Schritt dachte er lieber nicht hinaus, denn manchmal war es vernünftiger — und auf alle Fälle sicherer —, wenn man sich keine Gedanken darüber machte, wie sich eine Szene weiterentwickelte oder welchen Abschluß ein Kapitel fand.
Nachdem er sich ein letztes Mal umgesehen hatte, nickte er und machte sich auf die Suche nach ihr.
»Brianna.«
Ohne sich zu ihm umzudrehen, verteilte sie weiter Kuvertüre auf dem Schokoladenkuchen, der vor ihr stand. Sie war wieder ruhiger, aber der Gedanke an ihren Auftritt erfüllte sie nach wie vor mit abgrundtiefer Scham. Mehr als einmal war sie während der letzten beiden Stunden erschaudert, wenn sie daran gedacht hatte, wie sie sich ihm an den Hals geworfen hatte.
An den Hals geworfen, dachte sie, ohne daß sie aufgefangen worden war.
»Das Abendessen ist fertig«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Möchtest du auf deinem Zimmer essen oder hier?«
»Ich möchte, daß du nach oben kommst.«
»In Ordnung.« Ihre Erleichterung darüber, daß er nicht gemütlich mit ihr in der Küche essen wollte, war grenzenlos. »Ich mache dir nur ein Tablett zurecht.«
»Nein.« Er legte ihr eine Hand auf die Schulter, und als er spürte, wie sie erstarrte, empfand er zum ersten Mal eine gewisse Unsicherheit. »Ich möchte einfach, daß du nach oben kommst.«
Sie wischte sich sorgfältig die Hände an ihrer Schürze ab und drehte sich zu ihm um. In seinem Gesicht entdeckte sie keine Spur von Mißbilligung oder Verärgerung, aber das änderte nichts an ihrer Verlegenheit. »Ist irgend etwas nicht in Ordnung?«
»Komm nach oben, und dann sagst du mir, ob etwas nicht in Ordnung ist.«
»Also gut.« Sie folgte ihm. Sollte sie sich noch einmal bei ihm entschuldigen? Sie war sich nicht sicher, vielleicht wäre es am besten, wenn sie so täte, als wäre nichts passiert. Mit einem leisen Seufzer näherte sie sich seinem Zimmer. Oh, sie hoffte nur, daß es nicht eins der Wasserrohre war. Gerade jetzt wären die Kosten einer Reparatur . . .
Als sie den Raum betrat, vergaß sie jeden Gedanken an Wasserrohre und Reparaturen. Sie vergaß alles, was ihr eben noch durch den Kopf gegangen war.
Überall standen Kerzen herum, deren sanftes Licht das dämmrige Grau des Zimmers wie geschmolzenes Gold durchfloß. Aus einem halben Dutzend Vasen reckten Tulpen und Rosen, Fresien und
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