Tödliche Absicht
Kompliment.«
Er hob die Tasse und kippte die Milch, den Zucker und den Kaffeelöffel von der Untertasse.
»Sie trinken ihn schwarz«, stellte Froelich fest. »Genau wie Joe.«
Reacher nickte. »Was mir nicht in den Kopf will, ist die Tatsache, dass ich immer der kleine Bruder war, aber jetzt drei Jahre älter bin, als er überhaupt geworden ist.«
Froelich sah weg. »Ja, ich weiß. Joe war einfach nicht mehr da, aber die Welt drehte sich trotzdem weiter. Sie hätte sich verändern sollen – wenigstens ein bisschen.«
Sie nahm einen kleinen Schluck Kaffee. Schwarz, ohne Zucker. Genau wie Joe.
»Außer ihm ist niemand jemals auf diese Idee gekommen?«, fragte Reacher. »Einen Außenstehenden für ein Sicherheitsaudit zu engagieren?«
»Niemand.«
»Der Secret Service ist eine verhältnismäßig alte Organisation.«
»Und?«
»Also werde ich Ihnen eine ziemlich offensichtliche Frage stellen.«
Sie nickte. »Präsident Lincoln hat uns am vierzehnten April 1865 kurz nach dem Mittagessen durch seine Unterschrift ins Leben gerufen. Abends ist er dann ins Theater gegangen und ermordet worden.«
»Eine Ironie des Schicksals.«
»Aus heutiger Perspektive, gewiss. Aber damals waren wir nur für den Schutz der US-Währung zuständig. Dann wurde 1901 McKinley ermordet, und man dachte, jemand sollte den Präsidenten hauptberuflich beschützen – und wir haben diesen Auftrag bekommen.«
»Weil das FBI erst seit den dreißiger Jahren existiert.«
Sie schüttelte den Kopf. »Tatsächlich hat es eine Vorläuferorganisation gegeben, das 1908 gegründete Office of the Chief Examiner. Daraus ist 1935 das Federal Bureau of Investigation geworden.«
»Das klingt wie der pedantische Scheiß, den Joe gewusst hätte.«
»Ich glaube, dass er mir das alles erzählt hat.«
»Kann ich mir denken. Er hatte eine Vorliebe für diesen historischen Kram.«
»Wie lautet Ihre ziemlich offensichtliche Frage also?«, erkundigte sie sich.
»Dass Sie erstmals seit hundertzwei Jahren einen Außenstehenden hinzuziehen wollen, kann nicht nur daran liegen, dass Sie eine Perfektionistin sind, oder?«
Sie setzte zu einer Antwort an und hielt dann inne. Er hatte das Gefühl, dass sie zu lügen beschloss. Das merkte er daran, wie sie leicht die Schultern hochzog.
»Ich stehe unter starkem Druck«, entgegnete sie. »Beruflich. Es gibt eine Menge Leute, die nur darauf warten, dass ich Mist baue. Ich muss mir Gewissheit verschaffen.«
Er schwieg. Wartete auf die Ausschmückungen. Lügner schmücken ihre Story immer aus.
»Dass die Wahl auf mich gefallen ist, war keine Selbstverständlichkeit«, erklärte sie. »Frauen an der Spitze eines Teams sind noch immer die Ausnahme. Der Geschlechterkampf tobt weiter – wie seit eh und je. Manche meiner Kollegen haben etwas von Neandertalern an sich.«
Er nickte, äußerte sich aber nicht dazu.
»Das habe ich immer im Hinterkopf«, sagte sie. »Ich kann mir keinen Fehler erlauben.«
»Um welchen Vizepräsidenten geht’s eigentlich?«, fragte er. »Den neuen oder den alten?«
»Den neuen«, antwortete sie. »Brook Armstrong. Genauer gesagt um den designierten Vizepräsidenten. Als er seine Kandidatur erklärt hat, bin ich zur Leiterin seines Teams bestimmt worden, und da der Dienst Wert auf Kontinuität legt, werden wir gewissermaßen mitgewählt. Gewinnt unser Mann, behalten wir unseren Job. Verliert er, sind wir wieder Infanteristen.«
Reacher lächelte. »Haben Sie ihm also Ihre Stimme gegeben?«
Sie gab keine Antwort.
»Was hat Joe über mich gesagt?«, fragte er.
»Dass Sie diese Herausforderung annehmen würden. Dass Sie sich den Kopf zermartern würden, um eine Möglichkeit zu finden, die Tat auszuführen. Er hat gesagt, Sie seien sehr einfallsreich und würden drei oder vier Methoden finden, ein Attentat zu verüben, und wir würden eine Menge von Ihnen lernen.«
»Und Sie haben was gesagt?«
»Nicht vergessen, das war vor acht Jahren. Ich war zu sehr von mir selbst überzeugt, fürchte ich. Ich habe behauptet, Sie würden niemals auch nur in die Nähe kommen.«
»Und er hat gesagt?«
»Diesen Fehler hätten schon viele andere Leute gemacht.«
Reacher zuckte mit den Schultern. »Vor acht Jahren war ich noch in der Army – vermutlich zehntausend Meilen entfernt und bis zum Hals in der Scheiße.«
Sie nickte. »Darüber war Joe sich im Klaren. Unsere Diskussion war eher theoretisch.«
Er musterte sie. »Aber jetzt ist sie anscheinend nicht mehr theoretisch. Acht Jahre später
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