Tödliche Absicht
ein bisschen neugierig. Zuvor waren Sie nur ein Name.«
Er starrte die Tischplatte an und versuchte sich als jemand zu sehen, der durch gelegentliche Äußerungen seines Bruders beschrieben wurde. Das war eine interessante Perspektive.
»Helfen Sie mir also?«, fragte sie wieder.
Froelich knöpfte wegen der Wärme in der Bar ihren Mantel auf. Darunter trug sie eine weiße Bluse. Sie rückte etwas näher an ihn heran, wandte sich ihm halb zu. Sie waren sich so nahe wie ein Liebespaar bei einem Tête-à-Tête.
»Weiß ich nicht«, antwortete er.
»Die Sache wäre gefährlich«, sagte sie. »Ich muss Sie warnen, dass außer mir niemand wissen wird, dass Sie dort draußen unterwegs sind. Das ist ein großes Problem, wenn Sie irgendwo entdeckt werden. Vielleicht ist es eine schlechte Idee, und ich sollte Sie nicht um diesen Gefallen bitten.«
»Ich würde nirgends entdeckt werden«, erwiderte Reacher.
Sie lächelte. »Genau das würden Sie sagen, hat Joe mir vor acht Jahren erklärt.«
Er schwieg.
»Die Sache ist sehr wichtig«, meinte sie. »Und dringend.«
»Wollen Sie mir nicht verraten, warum sie wichtig ist?«
»Das habe ich bereits.«
»Wollen Sie es mir wirklich nicht verraten?«
Sie gab keine Antwort.
»Ich glaube nicht, dass die Sache rein theoretisch ist«, sagte er.
Sie schwieg.
»Ich denke, Sie sind mit einer konkreten Situation konfrontiert«, sagte er.
Sie schwieg.
»Ich glaube, Sie wissen, dass dort draußen jemand unterwegs ist«, sagte er. »Eine aktive Bedrohung.«
Sie sah weg. »Das kann ich nicht kommentieren.«
»Ich war in der Army, solche Antworten kenne ich von früher.«
»Es geht nur um ein Sicherheitsaudit. Übernehmen Sie’s für mich?«
Reacher schwieg lange.
»Ich müsste zwei Bedingungen stellen«, sagte er dann.
Froelich hob die Augenbrauen. »Welche?«
»Erstens müsste ich irgendwo arbeiten, wo’s kalt ist.«
»Weshalb?«
»Weil ich gerade hundertneunundachtzig Dollar für warme Klamotten ausgegeben habe.«
Sie lächelte. »Wo er unterwegs sein wird, dürfte es Mitte November kalt genug für Sie sein.«
»Okay«, sagte Reacher. Er zog ein Streichholzbriefchen aus der Tasche, schob es ihr hin und deutete auf den aufgedruckten Namen und die Adresse. »Und in diesem Klub hier tritt diese Woche ein altes Geschwisterpaar auf, das sich Sorgen macht, es könnte um seine Gage betrogen werden. Musiker. Wahrscheinlich ist ihre Angst unbegründet, aber ich muss sichergehen. Ich möchte, dass Sie mit den hiesigen Cops reden.«
»Freunde von Ihnen?«
»Seit kurzem.«
»Wann soll Zahltag sein?«
»Freitagabend nach ihrem letzten Auftritt. Gegen Mitternacht. Die beiden müssen ihr Geld kriegen und ihr Zeug ins Auto laden dürfen. Sie wollen nach New York.«
»Ich sorge dafür, dass einer unserer Agenten täglich nach ihnen sieht. Besser als die Cops, denke ich. Wir haben hier eine Außenstelle. In Atlantic City wird jede Menge Geld gewaschen. Das liegt an den Spielkasinos. Sie machen’s also?«
Reacher schwieg wieder und dachte an seinen Bruder. Joe ist zurückgekommen, um mich zu verfolgen. Ich hab gewusst, dass er das eines Tages tun würde. Seine Tasse war leer, aber noch warm. Er hielt sie leicht schräg und beobachtete, wie der Kaffeesatz auf ihn zufloss: langsam und braun wie Flussschlamm.
»Wann muss es gemacht werden?«, fragte er.
In genau diesem Augenblick wurden weniger als hundertdreißig Meilen entfernt in einem Lagerhaus hinter dem Inner Harbor von Baltimore endlich zwei Waffen mit dazu passender Munition bar bezahlt. Ein Haufen Geld. Gute Waffen. Spezielle Munition. Die Planung für den zweiten Anschlag hatte mit einer objektiven Analyse der Gründe für das Fehlschlagen des ersten Attentats begonnen. Als realistisch denkenden Profis widerstrebte es ihnen, die Schuld an dem gesamten Debakel unzulänglicher Hardware zu geben, aber sie waren sich darüber einig, dass mehr Feuerkraft nicht schaden konnte. Deshalb hatten sie nach einem passenden Lieferanten gesucht und ihn gefunden. Er hatte, was sie wollten. Der Preis war angemessen. Sie handelten eine Garantie aus, die ihrer üblichen Vereinbarung entsprach. Sie erklärten dem Mann, falls es irgendein Problem mit der Ware gebe, würden sie zurückkommen und ihn durch einen gezielten Schuss ins Rückgrat in den Rollstuhl bringen.
Die Waffen zu beschaffen war die letzte Etappe ihrer Vorbereitungen. Jetzt waren sie bereit.
In den zehn Wochen zwischen Wahl und Amtseinführung hatte der designierte
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