Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödliche Absicht

Tödliche Absicht

Titel: Tödliche Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
Vom Netzwerk:
Nachrichten tat, wozu er ihn aufgefordert hatte. Die Sendung würde in einer halben Stunde beginnen.
    »Bist du in Ordnung?«, fragte Neagley.
    »Mir ist ganz komisch zumute«, sagte Reacher. »Als wäre ich zwei Menschen auf einmal. Sie hat mich zuletzt für Joe gehalten.«
    »Was hätte Joe in dieser Sache unternommen?«
    »Wahrscheinlich das Gleiche, was ich jetzt vorhabe.«
    »Dann tu’s einfach«, sagte Neagley. »Sie hat in dir immer nur Joe gesehen.«
    Er schwieg.
    »Mach die Augen zu«, sagte Neagley. »Lass dich von nichts ablenken. Du musst dich auf den Schützen konzentrieren.«
    Reacher schüttelte den Kopf. »Konzentration bringt überhaupt nichts.«
    »Dann denk an was anderes. An etwas am Rand deines Gesichtsfelds. Tu einfach so, als wäre dein Blick auf etwas anderes gerichtet. Vielleicht aufs Dach nebenan.«
    Er schloss die Augen, sah die im Sonnenschein scharf hervortretende Dachkante vor sich. Sah den blassblauen Himmel. Ein Winterhimmel. Er sah zu ihm auf. Erinnerte sich an die Geräusche in seiner Umgebung. Wenig aus der Schlange der Wartenden. Nur das Klappern von Servierbesteck und Froelich, die Danke fürs Vorbeikommen sagte. Mrs. Armstrong, die nervös Guten Appetit wünschte, als wisse sie nicht recht, was sie hier zu suchen hatte. Dann hörte er den gedämpften Aufprall, mit dem die erste Kugel in die Ziegelmauer einschlug. Ein schlechter Schuss. Er hatte Armstrong mehr als einen Meter verfehlt. Wahrscheinlich ein übereilter Schuss. Der Kerl kommt die Treppe herauf, steht an der Tür zum Dach, ruft Crosetti halblaut etwas zu. Und Crosetti reagiert . Der Mann wartet, bis Crosetti zu ihm kommt. Weicht vielleicht ins Treppenhaus zurück. Crosetti folgt ihm und wird erschossen. Die Hütte auf dem Dach lässt kein Geräusch nach außen dringen. Der Mann steigt über den Toten, rennt geduckt nach vorn an die Dachkante, kniet sich hin und schießt, zu schnell, bevor er wirklich zur Ruhe gekommen ist, und verfehlt die Zielperson. Der Fehlschuss reißt Splitter aus dem Ziegelmauerwerk, von denen einer Reachers Wange trifft. Der Kerl zieht den Ladehebel zurück und zielt beim zweiten Schuss sorgfältiger.
    Er öffnete die Augen.
    »Ich möchte mich auf das Wie konzentrieren«, sagte er.
    »Welches Wie meinst du?«, fragte Neagley.
    »Wie sie Crosetti von seinem Posten fortgelockt, wie sie das geschafft haben.«
    Neagley schwieg einen Augenblick.
    »Bannons Theorie scheint mir plausibel«, sagte sie. »Crosetti hat sich umgedreht und jemanden gesehen, den er kannte.«
    »Nehmen wir mal an, es war nicht so«, entgegnete Reacher. »Wie dann?«
    »Ich denke darüber nach. Du konzentrierst dich weiter auf den Schützen.«
    Er schloss erneut die Augen und sah zum benachbarten Dach hinüber. Dann wieder auf die Serviertische. Auf Froelich, in der letzten Minute ihres Lebens. Er erinnerte sich an die Wolke aus Blut und seine instinktive Reaktion. Feindliches Feuer! Von woher? Er hatte den Kopf gehoben und … was gesehen? Die Kontur eines Rückens oder einer Schulter. In Bewegung. Form und Bewegung waren irgendwie ein und dasselbe.
    »Sein Mantel«, sagte er. »Die Form des Mantels und wie der Stoff gefallen ist, als er sich bewegt hat.«
    »Du hattest den Mantel schon mal gesehen?«
    »Ja.«
    »Farbe?«
    »Weiß ich nicht. Bin mir nicht sicher, ob er überhaupt eine Farbe hatte .«
    »Stoffart?«
    »Die ist wichtig. Nicht dick, nicht dünn.«
    »Fischgrätenmuster?«
    Reacher schüttelte den Kopf. »Nicht der Mantel, den wir auf dem Überwachungsvideo gesehen haben. Auch nicht derselbe Typ. Dieser Mann war größer und schlanker. Mit ziemlich langem Oberkörper. Der hat dem Mantel seine Form gegeben. Es war ein langer Mantel, glaube ich.«
    »Du hast nur seine Schulter gesehen.«
    »Er ist wie ein langer Mantel gefallen .«
    »Wie ist er gefallen?«
    »Kraftvoll. Als bewege der Mann sich schnell.«
    »Kein Wunder, er hatte gerade Armstrong erschossen.«
    »Nein, als bewege er sich immer so. Ein hoch gewachsener Mann mit energischen Bewegungen.«
    »Alter?«
    »Älter als wir.«
    »Körperbau?«
    »Mittel.«
    »Haarfarbe?«
    »Weiß ich nicht mehr.«
    Er hielt die Augen geschlossen und suchte sein Gedächtnis nach Mänteln ab . Ein langer Mantel, nicht dick, nicht dünn. Er ließ seine Gedanken schweifen, aber sie kehrten immer wieder in den Discountladen in Atlantic City zurück. Wie er dort unschlüssig vor einer bunten Auswahl gestanden hatte – nur fünf Minuten nach einer dummen, spontanen

Weitere Kostenlose Bücher