Tödliche Absicht
»Ich habe noch nie einen Agenten verloren. In fünfundzwanzig Jahren nicht. Und jetzt an einem einzigen Tag gleich zwei. Wenn wir die Mörder nur schon hätten!«
»Sie sind wandelnde Tote«, meinte Reacher.
»Alle Beweise sprechen gegen uns«, sagte Stuyvesant.
»Heißt das, dass Sie sie nicht wollen, wenn es Leute von Ihnen sind?«
»Ich will nicht, dass es Leute von uns sind .«
»Ich glaube nicht, dass es Leute von Ihnen sind«, sagte Reacher. »Aber jedenfalls sind sie so gut wie tot. Darüber sollten wir uns im Klaren sein. Sie haben so viele Grenzen überschritten, dass ich das Mitzählen aufgegeben habe.«
»Ich will nicht, dass es Leute von uns sind«, wiederholte Stuyvesant. »Doch ich fürchte, Bannon könnte Recht haben.«
»Es gibt nur zwei Möglichkeiten«, sagte Reacher. »Entweder er hat Recht, oder er hat Unrecht. Hat er Recht, erfahren wir’s bald genug, weil er sich reinhängen wird, um es uns zu beweisen. Das Dumme ist nur, dass er sich nie mit der Möglichkeit befassen wird, er könnte Unrecht haben, weil er zu sehr darauf versessen ist, Recht zu behalten.«
»Sagen Sie mir, dass er Unrecht hat.«
»Ich glaube, dass er Unrecht hat. Und das Positive daran ist, dass es keine Rolle spielt, ob ich mit dieser Ansicht falsch liege. Weil er nichts unversucht lassen wird. Darauf können wir hundertprozentig bauen. Er ist nicht auf unsere Mithilfe angewiesen. Wir müssen uns das ansehen, was er sich nicht ansieht. Meiner Überzeugung nach ohnehin das Einzige, das sich anzusehen lohnt.«
»Sagen Sie mir nur, dass er Unrecht hat.«
»Seine Theorie gleicht einer auf der Spitze balancierenden Pyramide. Sehr eindrucksvoll, bis sie umfällt. Er setzt auf die Tatsache, dass Armstrong nichts von den Drohbriefen weiß. Aber dahinter steckt keine Logik. Vielleicht haben die Kerle es auf Armstrong persönlich abgesehen und wussten nur nicht, dass Sie ihm nichts sagen würden.«
Stuyvesant nickte.
»Das würde ich gern glauben«, sagte er, »aber die Sache mit dem NCIC spricht dagegen. In diesem Punkt hat Bannon Recht. Kämen sie von außerhalb, hätten sie uns selbst auf die Morde in Minnesota und Colorado hingewiesen. Mit dieser Tatsache müssen wir leben.«
»Ihre Waffen sind auch überzeugend«, schaltete Neagley sich ein. »Und dass sie Froelichs Adresse gekannt haben.«
Reacher nickte. »Das gilt im Grunde auch für den Daumenabdruck. Wir sollten überlegen, ob sie vielleicht gewusst haben, dass der Abdruck nirgends gespeichert ist. Möglicherweise haben sie das von hier aus überprüft.«
»Na, großartig«, seufzte Stuyvesant.
»Aber ich glaub’s trotzdem nicht«, sagte Reacher.
»Warum nicht?«
»Holen Sie die Drohbriefe, und werfen Sie einen genauen Blick darauf.«
Stuyvesant zögerte einen Augenblick, stand dann langsam auf und verließ den Raum. Kam drei Minuten später mit einer Mappe zurück, klappte sie auf und legte die sechs offiziellen FBI-Fotos in einer ordentlichen Reihe auf den Konferenztisch. Er trug noch immer seinen rosa Pullunder. Die leuchtende Farbe spiegelte sich auf den Hochglanzabbildungen wider, als er sich über sie beugte. Neagley kam um den Tisch herum, damit auch sie die Texte lesen konnte.
»Okay«, sagte Reacher. »Seht sie euch genau an. Achtet auf alle Einzelheiten. Und denkt daran, warum ihr das tut. Nämlich für Froelich.«
Die Fotoreihe war mehr als einen Meter lang, sodass sie aufstehen und von links nach rechts am Tisch vorbeigehen mussten, um sie zu begutachten.
Sie werden sterben.
Der designierte Vize-Präsident Armstrong wird sterben.
Der Tag, an dem Armstrong sterben wird, naht rasch.
Eine Demonstration Ihrer Verwundbarkeit wird heute inszeniert.
Hat Ihnen die Demonstration gefallen?
Es wird bald passieren.
»Also?«, fragte Stuyvesant.
»Sehen Sie sich die vierte Mitteilung an«, forderte Reacher ihn auf. » Inszeniert ist richtig geschrieben.«
»Und?«
»Das ist ein Fremdwort, das nicht jeder richtig schreibt. Auch das Wort designiert in der zweiten Nachricht ist richtig geschrieben. Außerdem enden alle Sätze – bis auf den mit dem Fragezeichen – mit einem Punkt.«
»Und?«
»Die Mitteilungen stammen von Leuten, die einigermaßen gebildet sind.«
»Okay.«
»Sehen Sie sich jetzt die dritte Nachricht an.«
»Was ist mit der?«
»Neagley?«, fragte Reacher.
»Die klingt ein bisschen ungewöhnlich«, sagte sie. »Etwas unbeholfen und altmodisch. Das Wort naht hat fast einen biblischen Klang, finde ich.«
»Genau«, sagte
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