Tödliche Absicht
Entscheidung, die ihn von einem ruhigen, friedlichen Motelzimmer in La Jolla, Kalifornien, weggeführt hatte.
Zwanzig Minuten später gab er auf und machte dem Officer vom Dienst ein Zeichen, den Fernsehton lauter zu stellen, weil die Nachrichten kamen. Der Aufmacher war natürlich das Attentat auf Armstrong. Die Reportage begann mit einem gerahmten Porträt Armstrongs, das schräg hinter dem Moderator hing. Danach Schnitt zu Armstrong, der seiner Frau aus der Limousine half. Die beiden lächelten, gingen an der Kamera vorbei. Dann Schnitt zu Armstrong, der Löffel und Vorlegegabel hochhielt. Ein Lächeln auf seinem Gesicht. Die Stimme im Hintergrund verstummte, damit der O-Ton zu hören war: Happy Thanksgiving, Leute! Danach folgten sieben bis acht Sekunden aus der Phase, in der die Essensschlange sich wirklich in Bewegung gesetzt hatte.
Dann passierte es.
Wegen des Schalldämpfers war kein Schussknall zu hören, und weil er ausblieb, fuhr der Kameramann nicht wie sonst erschrocken zusammen oder duckte sich weg. Das Bild blieb ruhig. Und weil kein Schuss zu vernehmen war, wirkte es völlig unerklärlich, dass Froelich sich mit einem Mal auf Armstrong stürzte. Von vorn aufgenommen sah das ganz anders aus. Sie sprang einfach mit dem linken Bein hoch, verdrehte in der Luft ihren Körper und warf sich auf Armstrong. Sie wirkte verzweifelt, aber trotzdem anmutig. Das Fernsehen wiederholte diese Szene in Zeitlupe. Froelich legte die rechte Hand auf seine linke Schulter, drückte ihn nach unten und stemmte sich selbst hoch. Ihr Schwung bewirkte eine halbe Körperdrehung. Sie riss die Knie hoch und rammte Armstrong damit um. Ihr Kopf befand sich mindestens dreißig Zentimeter niedriger als beim normalen Aufrechtstehen, als die zweite Kugel sie traf.
»Scheiße«, fluchte Reacher.
Neagley nickte langsam. »Sie war zu schnell. Eine Viertelsekunde langsamer, dann wäre sie noch weit genug oben gewesen, um an der Weste getroffen zu werden.«
»Sie war zu gut.«
Das Fernsehen wiederholte die Szene noch mal in normaler Geschwindigkeit. Alles war in einer Sekunde vorüber. Anschließend lief der Film weiter. Der Kameramann schien Wurzeln geschlagen zu haben. Reacher sah sich in Richtung Froelich stürmen. Sah Agenten schießen. Froelich lag außer Sicht auf dem Boden. Die Kamera duckte sich wegen der Schießerei kurz weg, kam dann erneut hoch und näherte sich dem Brennpunkt. Das Bild schwankte, als der Mann über etwas stolperte. Auf dem Bildschirm war lange nur wildes Durcheinander zu sehen. Dann setzte der Kameramann sich wieder in Bewegung, um die niedergeschossene Agentin aufzunehmen. Neagleys Gesicht erschien, und das Bild wurde schwarz. Danach Schnitt zurück zum Moderator. Er sah in die Kamera und kündigte an, Armstrongs Reaktion sei rasch und effizient gewesen.
Schnitt zu einem Aufnahmeort im Freien, den Reacher als den Parkplatz vor dem Westflügel des Weißen Hauses erkannte. Armstrong stand dort mit seiner Frau. Die beiden trugen noch Freizeitkleidung, aber sie hatten die Kevlarwesten abgelegt. Froelichs Blut war vom Gesicht Armstrongs entfernt worden und sein Haar gekämmt. Er wirkte entschlossen und redete mit leiser, beherrschter Stimme wie ein Mann, der mit starken Gefühlen ringt. Er sprach von seiner tiefen Trauer über den Tod zweier Secret-Service-Agenten und übermittelte den Angehörigen sein tief empfundenes Beileid. Dann pries er die menschlichen Qualitäten der beiden Toten und sagte, sie seien nicht nur gestorben, um ihn zu retten, sondern auch um die Demokratie zu verteidigen. Und er hoffe, die Angehörigen würden darin etwas Trost finden und zugleich erkennen, dass sie allen Grund hätten, sehr stolz auf die Verstorbenen zu sein. Er versprach eine rasche Aufklärung und harte Bestrafung der Täter, die dieses Verbrechen begangen hatten. Er versicherte der Nation, dass weder rohe Gewalt noch Einschüchterungsversuche die Regierungsarbeit behindern könnten und der Amtswechsel nicht im Geringsten betroffen sei. Aber zum Zeichen seiner großen Wertschätzung wolle er in Washington bleiben und alle Termine absagen, bis er am Trauergottesdienst für seine persönliche Freundin, die Leiterin des zu seinem Schutz eingesetzten Teams, teilgenommen habe. Er fügte hinzu, der Gottesdienst werde am Sonntagmorgen in einer kleinen Landkirche in einer Kleinstadt in Wyoming namens Grace stattfinden – und eine schönere Metapher für Amerikas Größe lasse sich kaum denken.
»Der Kerl redet Scheiße«,
Weitere Kostenlose Bücher