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Tödliche Absicht

Tödliche Absicht

Titel: Tödliche Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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Lebensdauer reicht vom Sommer, in dem er seine Kandidatur erklärt, bis zum Wahltag. Er ist höchstens vier bis fünf Monate nützlich. Anfangs wirkt er als belebendes Element für den Wahlkampf. Bis zum Sommer finden alle Wähler die Präsidentschaftskandidaten todlangweilig. Deshalb bringen die vorgesehenen Vizepräsidenten neuen Schwung in die Debatte. Plötzlich haben wir alle ein neues Thema, über das wir reden, neue Leute, die wir analysieren können. Wir überprüfen ihre Qualitäten, ihre bisherigen Erfolge. Wir überlegen, wie gut sie die Nummer eins ergänzen. Das ist ihre primäre Funktion. Ausgleich und Kontrast. Was der Präsidentschaftskandidat nicht ist, ist der vorgesehene Vizepräsident – und umgekehrt. Jung, alt, flott, langweilig, Nordstaatler, Südstaatler, dumm, clever, hart, weich, reich, arm.«
    »Schon verstanden«, meinte Bannon.
    »Er erfüllt seinen Zweck also schon durch seine Existenz«, sagte Swain. »Anfangs besteht er nur aus einem Foto und einer Biografie. Er ist eine Idee . Dann beginnen seine Aufgaben. Er muss ein guter Wahlkämpfer sein, versteht sich. Weil er da ist, um den Kampfhund zu spielen. Er muss imstande sein, Dinge zu sagen, die der Präsidentschaftskandidat nicht selbst sagen darf. Sieht das Wahlkampfkonzept einen Angriff oder eine Schmähkritik vor, wird dazu der Kandidat fürs Amt des Vizepräsidenten vorgeschickt. Gleichzeitig steht der Präsidentschaftskandidat anderswo herum und mimt den großen Staatsmann. Dann wird gewählt, der Präsidentschaftskandidat siedelt ins Weiße Haus über und der Vizepräsident kommt in die Besenkammer. Seine Nützlichkeit endet am ersten Dienstag im November.«
    »Hat Armstrong sich auf diese Dinge verstanden?«
    »Sehr gut sogar. Tatsächlich war er ein höchst aggressiver Wahlkämpfer, aber das hat ihm nie geschadet, weil er immer sein nettes Lächeln zur Schau getragen hat. In Wirklichkeit war er absolut tödlich.«
    »Und Sie glauben, dass er genügend Leuten auf die Zehen getreten ist, um dafür ermordet zu werden?«
    Swain nickte. »Daran arbeite ich im Augenblick. Ich analysiere jede Rede und jeden Kommentar, setze seine Angriffe in Bezug zum Profil der Leute, die er angegriffen hat.«
    »Das Timing ist überzeugend«, sagte Stuyvesant. »Dagegen gibt’s nichts zu sagen. Er war sechs Jahre lang Abgeordneter und weitere sechs Jahre Senator und hat in dieser Zeit kaum einmal einen bösen Brief bekommen. Diese ganze Sache muss durch ein Ereignis in jüngster Vergangenheit ausgelöst worden sein.«
    »Und in diese letzte Zeit fällt sein Wahlkampf«, stellte Swain fest.
    »Nichts in seiner weit zurückliegenden Vorgeschichte?«, fragte Bannon.
    Swain schüttelte den Kopf. »Die haben wir gleich mehrfach überprüft«, antwortete er. »Die erste Informationsquelle war unmittelbar vor seiner Nominierung Ihr eigener FBI-Bericht. Wir besitzen ein Exemplar davon, und er enthält nichts Negatives. Dann haben wir das Dossier ausgewertet, das die Opposition in seinen drei bisherigen Wahlkämpfen über ihn zusammengestellt hat. Diese Leute graben weit mehr Dinge aus als Ihre. Und er ist clean.«
    »Quellen in North Dakota?«
    »Nichts«, sagte Swain. »Wir haben natürlich mit allen dortigen Zeitungen gesprochen. Die Lokalpresse weiß alles, aber gegen den Mann gab es nichts vorzubringen.«
    »Also war’s der Wahlkampf«, konstatierte Stuyvesant. »Er hat irgendjemanden gegen sich aufgebracht.«
    »Jemanden, der Secret-Service-Waffen besitzt«, sagte Bannon. »Jemanden, der von der Schnittstelle zwischen Secret Service und FBI weiß und auch, dass man dem Vizepräsidenten nichts mit der Post schicken kann, ohne dass es zunächst beim Secret Service landet. Jemanden, der Froelichs Adresse gekannt hat. Schon mal vom Ententest gehört? Wenn etwas wie eine Ente aussieht, wie eine Ente quakt, wie eine Ente watschelt?«
    Stuyvesant gab keine Antwort. Bannon sah auf seine Uhr, holte sein Handy heraus und legte es vor sich auf den Tisch.
    »Ich bleibe bei meiner Theorie«, erklärte er. »Allerdings gehören für mich jetzt beide Typen zu Ihren Leuten. Das heißt, wenn dieses Telefon klingelt und Reacher Recht behält.«
    In diesem Augenblick klingelte das Handy. Als Klingelton hatte er die quäkende Wiedergabe irgendeiner berühmten Ouvertüre gewählt. In der feierlichen Stille des Konferenzraums klang sie geradezu lächerlich. Er griff nach seinem Handy und schaltete es ein. Das Gedudel verstummte. Jemand musste Boss? gesagt haben, denn er

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