Tödliche Absicht
unterscheidet sich auffällig von allen anderen, die ich kenne. Der Hass tritt sehr deutlich zutage. Attentate lassen sich in zwei Gruppen einteilen: ideologische oder funktionelle. Ein funktionelles Attentat ist eins, das dazu dient, einen Menschen aus bestimmten politischen oder wirtschaftlichen Gründen zu beseitigen. Ein ideologisches hingegen ist eins, bei dem man einen Kerl ermordet, weil man ihn hasst. Im Lauf der Jahre hat es jede Menge Attentatsversuche aus beiden Gründen gegeben. Ich darf mich nicht zu Einzelheiten äußern, aber ich kann Ihnen versichern, dass die meisten nicht sehr weit kommen und bei praktisch allen ziemlich viel Hass im Spiel ist. Im Allgemeinen ist er jedoch gut verborgen, bleibt auf der Verschwörerebene. Wir bekommen immer nur das Resultat zu sehen. Aber diesmal schlägt uns blanker Hass entgegen. Diese Männer haben sich viel Mühe gegeben und eine Menge riskiert, damit wir alles darüber erfahren.«
»Und was schließen Sie daraus?«
»Ich finde nur, dass die Anfangsphase außergewöhnlich war. Die Mitteilungen. Denken Sie an die Risiken und welcher Aufwand nötig war, um diese Risiken zu minimieren. Sie haben unglaublich viel Energie aufgewandt. Also vermute ich, dass dieser Aufwand ihnen gerechtfertigt erschien.«
»Aber das war er nicht«, warf Neagley ein. »Armstrong hat nie einen ihrer Drohbriefe zu sehen bekommen. Sie haben ihre Zeit vergeudet.«
»Schlichte Unkenntnis«, sagte Swain. »Haben Sie gewusst, dass wir niemals mit unseren Schützlingen über eingehende Drohungen sprechen?«
»Nein«, sagte Neagley. »Ich war überrascht.«
»Jeder ist überrascht«, sagte Swain. »Diese Männer dachten, sie kämen direkt an ihn heran. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass diese Sache persönlich gemeint ist. Gegen ihn gerichtet, nicht gegen uns.«
»Das sind wir auch«, bestätigte Reacher. »Haben Sie einen bestimmten Grund?«
»Sie werden mich für naiv halten«, erwiderte Swain. »Aber ich glaube nicht, dass jemand, der bei uns arbeitet oder gearbeitet hat, die beiden anderen Armstrongs ermordet hätte. Nicht einfach so.«
Reacher zuckte mit den Schultern. »Vielleicht sind Sie naiv. Oder auch nicht. Aber das spielt keine Rolle. Wir glauben das auch nicht.«
»Was macht Sie so sicher?«
»Der Bindestrich in der zweiten Mitteilung.«
»Der Bindestrich?«, fragte Swain. Er überlegte einen Moment. »Ja, ich verstehe. Einleuchtend, aber Ihre Annahme basiert doch sehr auf Indizien, finden Sie nicht auch?«
»Vielleicht. Wir gehen jedenfalls davon aus, dass diese Sache persönlich gemeint ist.«
»Okay, aber warum? Die einzig plausible Antwort ist, dass sie ihn abgrundtief hassen. Sie wollten ihn erst verspotten, ängstigen und leiden lassen. Ihnen genügt es nicht, ihn nur zu erschießen.«
»Wer sind sie also? Wer hasst ihn so sehr?«
Swain machte eine Handbewegung, als schiebe er diese Frage beiseite.
»Noch etwas«, sagte er. »Das mag etwas abwegig klingen, aber ich glaube, dass wir falsch gezählt haben. Wie viele Mitteilungen sind eingegangen?«
»Sechs«, antwortete Reacher.
»Nein«, sagte Swain. »Ich glaube, dass es sieben waren.«
»Wo ist die siebte?«
»Nendick«, erklärte Swain. »Ich vermute, dass Nendick, der die zweite Mitteilung überbracht hat, selbst die dritte war. Sehen Sie, Sie sind hier aufgekreuzt und haben sich achtundvierzig Stunden später Nendick geschnappt. Aber mit Verlaub: Auch wir hätten ihn früher oder später gefasst. Das war unvermeidlich. Waren es nicht die Raumpfleger, mussten die Überwachungsvideos manipuliert worden sein. Also hätten wir auch diesen Schluss gezogen. Und was hätte uns dort erwartet? Nendick war nicht nur der Überbringer einer Botschaft, er war selbst eine Message. Er sollte beweisen, wozu diese Kerle imstande waren. Wäre Armstrong von Anfang an über alles informiert gewesen, hätte ihn das ziemlich schockieren müssen.«
»Dann waren es insgesamt neun Mitteilungen«, gab Neagley zu bedenken. »Nach diesem Prinzip müssten wir auch die Morde in Minnesota und Colorado einbeziehen.«
»Unbedingt«, pflichtete ihr Swain bei. »Sie verstehen, was ich meine? Alles sollte Angst erzeugen. Jeder einzelne Schritt. Nehmen wir mal an, Armstrong wäre von Anfang an informiert worden. Er bekommt die erste Mitteilung, er macht sich Sorgen. Wir erhalten die zweite Mitteilung, er macht sich noch mehr Sorgen. Wir stellen fest, wie sie hergekommen ist, und er fängt an, sich besser zu fühlen. Aber nein, die
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