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Tödliche Absicht

Tödliche Absicht

Titel: Tödliche Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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frische Spur war nicht zu übersehen. Sie machte eine scharfe Rechtskurve, führte dem Boden des Einschnitts folgend nach Norden und kam hinter einem verschneiten Felsen außer Sicht. Ringsum nichts als Stille. Der Schnee kam ihnen waagrecht entgegen, kam sogar von unten , aus dem Einschnitt herauf.
    Zeit und Raum, sagte Reacher sich. Vier Dimensionen. Eine klassische Taktikaufgabe. Der Tahoe konnte gewendet haben, um der eigenen Fahrspur zu folgen und kurz vor Armstrongs Ankunft wieder in der Nähe der Kirche zu sein. Aber ihn blindlings zu verfolgen wäre Selbstmord gewesen. Weil er vielleicht gar nicht zurückfuhr. Er konnte hinter der nächsten Ecke lauern. Aber zu lange darüber nachzudenken wäre ebenfalls Selbstmord gewesen, denn er konnte einen Kreis beschreiben und dann hinter ihnen auftauchen. Ein klassisches Problem. Reacher sah auf seine Uhr. Fast der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Sie waren seit knapp einer halben Stunde unterwegs. Folglich würde die Rückfahrt genauso lange dauern. Und Armstrong wurde in einer Stunde und fünf Minuten erwartet.
    »Hast du Lust, dir den Arsch abzufrieren?«, fragte er.
    »Geht wohl nicht anders«, antwortete Neagley. Sie öffnete die Beifahrertür und glitt in den Schnee hinaus. Stapfte schwerfällig nach rechts, wühlte sich durch Schneewehen, kletterte über Felsen, schnitt so die Kurve ab. Er nahm den Fuß vom Bremspedal, drehte das Lenkrad etwas nach rechts und ließ den Yukon langsam den Hang hinunterrollen. Schlug unten scharf rechts ein und folgte der Fahrspur des anderen Wagens. Das war die beste Lösung. Falls der Tahoe wirklich zurückfuhr, durfte er nicht ewig warten. Es hatte keinen Zweck, in Grace anzukommen, wenn Armstrong bereits tot war. Und falls er tatsächlich in einen Hinterhalt geriet, hatte er nichts dagegen, solange Neagley mit einer Maschinenpistole hinter seinen Gegnern stand. Er ging davon aus, dass sein Überleben damit garantiert war.
    Aber es gab keinen Hinterhalt. Er fuhr um den Felsen und wieder nach Osten und sah nichts außer Reifenspuren im Schnee und Neagley, die mit der Sonne im Rücken fünfzig Meter vor ihm stand und ihre Waffe mit beiden Händen über den Kopf hob. Das Alles-klar- Zeichen. Er gab Gas und raste zu ihr hinauf. Der Wagen rutschte und schlitterte, während seine Reifen in der glatten Fahrspur des Tahoes durchdrehten. Er versuchte vorsichtig zu bremsen, doch der Yukon geriet ins Schleudern, rutschte vorn weg und blieb mit den Vorderrädern in einem zugeschneiten Graben hängen. Neagley kämpfte sich durch den Schnee und riss die Autotür auf. Eiskalte Luft drang herein.
    »Los, weiter«, keuchte sie vor Anstrengung. »Sie haben jetzt mindestens fünf Minuten Vorsprung.«
    Er gab Gas. Alle vier Räder drehten durch. Der Wagen rührte sich nicht von der Stelle. Die Vorderräder gruben sich tiefer in den Schnee.
    »Scheiße.«
    Er versuchte es nochmals. Das Ergebnis blieb das Gleiche. Er wechselte vom Allrad- auf den Zweiradantrieb und versuchte es erneut. Wieder nichts. Er wechselte mehrmals rasch zwischen erstem und Rückwärtsgang. Der Wagen rollte vor und zurück, vor und zurück, kam jedoch nicht aus dem Graben.
    Neagley sah auf die Uhr. »Sie sind irgendwo da vorn. Sie könnten noch rechtzeitig Grace erreichen.«
    Reacher nickte, gab wieder Gas, wechselte zwischen erstem und Rückwärtsgang. Aber der Yukon blieb, wo er war.
    »Armstrong ist jetzt in der Luft«, bemerkte Neagley. »Und unser Wagen steht nicht mehr in der Nähe der Kirche. Also landet er wie vorgesehen.«
    Reacher warf einen Blick auf seine Uhr, kämpfte gegen die aufsteigende Panik an.
    »Mach du weiter«, sagte er. »Abwechselnd vorwärts und rückwärts.«
    Er griff sich seine Handschuhe vom Rücksitz, stieß die Tür auf und ließ sich mit den Füßen voraus in den Schnee gleiten.
    »Und wenn er freikommt, fährst du ohne anzuhalten weiter.«
    Er stapfte zum Wagenheck. Scharrte und trampelte im Schnee, bis er felsigen Boden unter den Stiefeln spürte. Neagley rutschte auf den Fahrersitz, wechselte rhythmisch die Gänge – erster Gang, Rückwärtsgang, erster Gang, Rückwärtsgang – und gab immer nur kurz Gas. Der Yukon begann auf dem zu Eis gewordenen Schnee einen Viertelmeter vorwärts und rückwärts zu rollen. Reacher stemmte sich mit seinem Rücken gegen die Heckklappe und umfasste die Stoßstange von unten. Bewegte sich mit, wenn der Wagen zurückrollte. Drückte die Beine durch und wuchtete das Heck hoch, wenn er wieder nach vorn

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