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Tödliche Absicht

Tödliche Absicht

Titel: Tödliche Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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den Kopf über die Brüstung. Die Landschaft war dunkel und kein Laut zu hören. Die in der Ferne aufragenden Berge waren nicht zu erkennen. Er konnte nichts sehen und nichts hören. Die Luft war eisig. Er wartete.
    Er wartete eine halbe Stunde lang in der Kälte. Seine Augen tränten, und die Nase lief. Er begann heftig zu zittern. Wenn mich friert, sind sie fast erfroren, dachte er. Und tatsächlich vernahm er nach dreißig endlos langen Minuten das Geräusch, auf das er gelauscht hatte. Der Motor des Chevys Tahoe wurde angelassen. Das Geräusch kam aus weiter Ferne, aber in der Stille der Nacht klang es sehr laut. Es kam irgendwo von Westen, war vielleicht einige hundert Meter entfernt. Der Motor lief zehn volle Minuten, um die Heizung in Gang zu halten. Der genaue Standort des Wagens ließ sich nicht allein durch Geräuschortung ermitteln. Aber dann machten sie einen entscheidenden Fehler: Sie schalteten für eine Sekunde die Innenbeleuchtung ein. Er sah einen gelblichen Lichtschein tief unten im Gras. Der Tahoe stand in einer Senke. Völlig getarnt, weil sein Dach sich unterhalb des durchschnittlichen Geländeniveaus befand. Ein wenig südlicher als genau westlich, aber nicht sehr viel. Ungefähr hundertfünfzig Meter entfernt. Eine ausgezeichnete Position. Vermutlich hatten sie vor, ihr Fahrzeug als Feuerplattform zu benützen. Auf dem Dach ausgestreckt liegen, zielen, schießen, hinunterrutschen, in den Wagen springen, wegfahren.
    Er legte beide Arme ausgestreckt an die Brüstung, sah genau nach Westen und prägte sich die Position des gelben Lichtscheins vom Kirchturm aus gesehen ein. Hundertfünfzig Meter entfernt, ungefähr dreißig Meter südlicher als genau westlich. Er kroch in den Turm zurück, stieg an der hämmernden Uhr vorbei hinunter ins Kirchenschiff, holte die H&K und das M16 aus ihrem Versteck unter der Kirchenbank und ließ sie auf dem kalten Erdboden unter dem Yukon zurück. Er wollte sie nicht ins Auto legen, wollte sich nicht selbst durch den Lichtschein der Innenbeleuchtung verraten.
    Als er in die Pension zurückkehrte, kam Neagley gerade aus ihrem Zimmer. Es war fast sechs Uhr. Sie gingen zusammen in sein Zimmer, um miteinander zu reden.
    »Konntest du nicht schlafen?«, fragte er.
    »Ich schlafe nie«, antwortete sie. »Sind sie noch da?«
    Reacher nickte. »Aber es gibt ein Problem. Wir können sie nicht erledigen, wo sie jetzt sind. Wir müssen dafür sorgen, dass sie von dort verschwinden.«
    »Warum?«
    »Zu nahe am Ort. Wir dürfen dort draußen nicht eine Stunde vor Armstrongs Ankunft den Dritten Weltkrieg anfangen und hundertfünfzig Meter von der Stadtgrenze entfernt zwei Leichen zurücklassen. Die Leute hier haben uns gesehen. Aus Casper werden bald die ersten Cops, vielleicht auch State Trooper eintreffen. Du musst an deine Lizenz denken. Wir müssen sie von hier verscheuchen und irgendwo in der Wildnis erledigen. Vielleicht im Westen, wo’s bereits schneit. Dieser Schnee bleibt bis April liegen. Das möchte ich nützen. Ich möchte sie weit von hier entfernt erledigen, und ich möchte, dass es April wird, bevor jemand merkt, was hier passiert ist.«
    »Okay, wie?«
    »Sie sind Edward Fox, nicht John Malkovich. Sie wollen überleben, um ein andermal weiterkämpfen zu können. Stellen wir’s richtig an, können wir sie in die Flucht schlagen.«
    Sie waren vor sechs Uhr dreißig wieder bei dem Yukon. Durch die Luft wirbelten zwar noch immer Schneeflocken, aber im Osten begann der Himmel heller zu werden. Sie überprüften ihre Waffen, schnürten sorgfältig ihre Schuhe, zogen die Reißverschlüsse ihrer Jacken hoch und bewegten die Schultern, um sicherzustellen, dass sie genug Bewegungsfreiheit hatten. Reacher setzte seine Wollmütze auf und zog den linken Handschuh an. Neagley steckte die Steyr in die Innentasche ihrer Jacke und hängte sich die Heckler & Koch über die Schulter.
    »Wir sehen uns später«, flüsterte sie.
    Sie ging nach Westen über den Friedhof davon. Er sah sie über den niedrigen Zaun steigen und sich etwas mehr in Richtung Süden zu halten, bevor sie in der Dunkelheit verschwand. Er ging zum Fuß des Kirchturms, stellte sich mit dem Rücken in die Mitte seiner Westflanke und rechnete sich nochmals die Position des Tahoes aus. Richtete einen ausgestreckten Arm darauf und ging rückwärts, wobei er seinen Arm bewegte, um Richtungsänderungen zu kompensieren. Er legte das M16 so auf den Boden, dass die Mündung nach Westsüdwest zeigte. Dann trat er hinter

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