Tödliche Absicht
Kunststoffröhren zusammengefasst. Überall Aktenstapel, Berichte und Memos mit Nadeln an einer Pinnwand befestigt. In einem Schrank mit Glastüren nahmen Verfahrenshandbücher zwei volle Regalreihen ein. Der Raum war fensterlos, aber es gab trotzdem eine Pflanze. Sie stand in einem Plastiktopf auf dem Schreibtisch: welk und trocken, ums Überleben kämpfend. Keine Fotos an den Wänden. Nichts Persönliches bis auf eine Spur ihres Parfüms in der Luft und am Bezugsstoff ihres Drehsessels.
»So, jetzt geht Stuyvesant nach Hause«, sagte sie.
Reacher konzentrierte sich wieder auf den Fernsehschirm und sah auf dem Zeitzähler erst 19.30 Uhr, dann 19.31 Uhr ablaufen. Stuyvesant war ein großer Mann, breitschultrig, leicht gebeugt, an den Schläfen ergrauend. Er hielt einen schmalen Aktenkoffer in der Hand. Der schnelle Vorlauf bewirkte, dass er sich absurd energisch bewegte. Er rannte zum Garderobenständer und riss einen schwarzen Regenmantel herunter. Warf ihn sich über die Schultern und rannte zum Schreibtisch seiner Sekretärin zurück. Beugte sich abrupt zu ihr hinunter, sagte etwas, rannte davon und verschwand aus dem Erfassungsbereich der Kamera. Froelich drückte den Knopf fester, sodass sich die Vorlaufgeschwindigkeit nochmals verdoppelte. Die Sekretärin zuckte und schwankte auf ihrem Drehstuhl. Die Anzeige des Zeitzählers verschwamm. Als die Neunzehn zu einer Zwanzig wurde, sprang die Sekretärin auf. Froelich ließ das Video wieder ein wenig langsamer laufen, um zu zeigen, wie sie kurz die Tür von Stuyvesants Büro öffnete. Sie behielt die Klinke in der Hand, warf einen Blick in den Raum, wandte sich sofort wieder ab und schloss die Tür. Lief im Vorraum umher, sammelte ihre persönlichen Gegenstände, wie Handtasche, Schirm und Mantel, ein und verschwand in Richtung Korridor. Froelich verdoppelte die Vorlaufgeschwindigkeit erneut, aber jetzt raste nur der Zeitzähler – das Bild blieb völlig statisch.
»Wann kommt die Putzkolonne?«, fragte Reacher.
»Kurz vor Mitternacht«, erwiderte Froelich.
»So spät?«
»Das Reinigungspersonal arbeitet nachts. Wir sind Tag und Nacht im Dienst.«
»Und vorher ist nichts zu sehen?«
»Absolut nichts.«
»Okay, dann bitte weiter.«
Froelich drückte auf weitere Knöpfe und wechselte so zwischen schnellem Vorlauf und normaler Geschwindigkeit, bei der sie die eingeblendete Zeit kontrollieren konnte, hin und her. Ab 23.50 Uhr ließ sie das Video wieder normal laufen. Der Zeitzähler sprang von Sekunde zu Sekunde. Um 23.52 Uhr waren auf dem Korridor Bewegungen zu erkennen. Aus dem Halbdunkel tauchte eine dreiköpfige Gruppe auf: zwei Frauen und ein Mann, alle in dunklen Overalls. Sie schienen Hispanier zu sein. Alle drei waren klein und stämmig, schwarzhaarig. Der Mann schob einen hochbeinigen Wagen. Vorn war mit Klammern ein schwarzer Müllsack befestigt; auf den Ablageflächen dahinter stapelten sich Putzlappen und Papiertücher neben allen möglichen Sprühflaschen. Eine der Frauen trug einen Staubsauger wie einen Rucksack auf dem Rücken. Sein Schlauch endete in einem langen Rohr mit breiter Saugöffnung. Die andere Frau hielt in einer Hand einen Putzeimer und in der anderen einen Mopp. Der Mopp besaß einen quadratischen Schaumstoffkopf und in der Mitte des Stiels einen komplizierten Hebelmechanismus, mit dem überschüssiges Wasser herausgedrückt werden konnte. Alle drei hatten Gummihandschuhe an, die ihre Hände blass aussehen ließen. Durchsichtiges, vielleicht leicht gelbliches Kunststoffmaterial. Alle drei wirkten müde, sahen jedoch ordentlich, sauber und professionell aus. Froelich hielt das Video an und ließ die drei zur Bewegungslosigkeit erstarren, bevor sie Stuyvesants Tür erreichten.
»Wer sind diese Leute?«, fragte Reacher.
»Staatliche Angestellte«, antwortete Froelich. »In Washington besteht Reinigungspersonal überwiegend aus Zeitarbeitern – Mindestlöhne, keine Sozialleistungen, ständig wechselnde Niemands. Das ist in allen Großstädten so. Aber wir stellen eigene Leute ein. Das FBI ebenfalls. Wir müssen logischerweise großen Wert auf Zuverlässigkeit legen. Bewerber werden zu einem Einstellungsgespräch gebeten, ihr Vorleben wird unter die Lupe genommen. Sie kommen hier nur rein, wenn sie gute Leute sind. Dann bekommen sie ein anständiges Gehalt, Sozialleistungen, Beihilfen im Krankheitsfall, bezahlten Urlaub und so weiter. Die Raumpfleger sind Angestellte des Treasury Departments wie wir alle.«
»Und das wissen sie zu
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